Nächste Woche debattiert der Nationalrat über eine Flugticketabgabe. Die SVP behauptet, die kleinen und mittleren Einkommen würden leiden. Wahr ist das Gegenteil: Das belegt eine neue und brisante Studie.
(Quelle: Sotomo / Grafik: Rote Anneliese)
Reiche und Superreiche in der Schweiz fliegen 5 Mal mehr in der Welt herum als Menschen mit bescheidenen Einkommen. Und sie blasen ungestraft sechs Mal mehr schädliches CO2 in die Luft. Zu diesem hochbrisanten Ergebnis kommt eine neue Studie des Politologen Michael Hermann und seiner Forschungsstelle Sotomo. Für 10’000 Franken in Auftrag gegeben haben sie der Verein «Rote Anneliese» mit Peter Bodenmann als treibender Kraft im Hintergrund. Der Verein ist der Herausgeber der gleichnamigen Walliser Oppositionszeitung, die der Studie in der neuen Ausgabe mehrere grafisch super aufbereitete Seiten widmet.
Und Sotomo widerlegt, was SVP-Noch-Präsident Albert Rösti frech und faktenfrei im Blick behauptet hat: dass eine Flugticketabgabe eine «sozialistische Umverteilung» von unten nach oben wäre. Also von den Büezern zu den Bonzen. Von den Unia-Mitgliedern zu den Managern. Doch wahr ist das Gegenteil, so das Fazit von Hermanns Studie: «Eine Flugticketabgabe führt eher zu einer sozialen Entlastung als zu einer Mehrbelastung» (siehe Kasten unten).
Reiche fliegen 5 Mal mehr als Menschen mit einem bescheidenen Einkommen …
REICHSTE FLIEGEN AM MEISTEN
Erstmals zeigen wissenschaftlich erhobene Zahlen das Flugverhalten der Schweizer Bevölkerung – und das ist maximal unterschiedlich: Wenige fliegen viel. Und viele fliegen wenig (siehe Grafik oben links). Am meisten jetten jene Personen durch die Lüfte, die ein Haushaltseinkommen von über 12’000 Franken netto haben. Also die Reichen und Superreichen. Sie fliegen sowohl privat als auch geschäftlich mehr als alle anderen Einkommensklassen. Häufiger als andere Altersgruppen besteigen auch die 18–24jährigen und die Ledigen einen Flieger. Sowie die Städterinnen und Städter: Sie fliegen fast doppelt so viel wie die Menschen auf dem Land. Mann und Frau dagegen sind über den Wolken gleichgestellt.
Und die Flughäufigkeit bestimmt die Luftverschmutzung mit CO2-Emissionen. Die Top-5-Prozent-Vielfliegenden tragen alleine mit ihren privaten Flügen rund einen Drittel der gesamten Flugemissionen bei. So die Berechnungen von Sotomo. Die grössten fliegenden Luftverschmutzerinnen und -verschmutzer sind die Reichen und Superreichen mit einem Nettoeinkommen von über 12 000 Franken. Sie schleudern 895 Kilogramm CO2 pro Kopf und Jahr in die Atmosphäre. Nur 136 Kilogramm sind es dagegen bei Personen mit einem Nettoeinkommen bis 4000 Franken. Wir haben es also mit einem richtigen Klassenkampf in der Luft zu tun. Am umweltfreundlichsten sind die Rentnerinnen und Rentner, sie machen offenbar eher Ferien ohne Flugreisen (Grafik oben rechts).
… und sie sind auch die grössten fliegenden CO2-Verschmutzer.
NEUES ABGABEMODELL
Nächste Woche diskutiert und entscheidet der Nationalrat über eine Flugticketabgabe. Sie ist eine zwingende Massnahme im Kampf gegen die Klimaerwärmung. Und zu einer Netto-null-CO2-Schweiz. Doch: Wie muss eine solche aussehen, damit sie möglichst gerecht ist (im Sinne des Verursachenden-Prinzips) und auch möglichst sozialverträglich? Auch das liess die «Rote Anneliese» von Sotomo untersuchen. Und gab gleich ein eigenes Flugticketabgabe-Modell vor, das «New Climate 2020». Sotomo hat dieses nun mit dem Modell verglichen, das der Nationalrat vorschlägt.
Und die gute Nachricht von Sotomo lautet: Bei beiden Modellen erhält eine Mehrheit der Bevölkerung netto mehr zurück, als sie bezahlen muss. Bei «New Climate 2020» profitieren satte 79 Prozent, also 4 von 5 Personen. Im «Modell Nationalrat» 60 Prozent. Das bessere Abschneiden von «New Climate 2020» hat damit zu tun, dass es eine vollständige Rückerstattung der Abgabe an die Bevölkerung vorsieht. Während das «Modell Nationalrat» nur 51 Prozent rückerstatten möchte.
Das «Modell Nationalrat» unterscheidet zudem nur zwischen zwei Streckentypen: Kurz- und Langstrecken. Während das Modell «New Climate 2020» auf dem tatsächlichen Klimaeffekt eines Fluges beruht. Es orientiert sich an den Emissionsberechnungen des Myclimate-Flugrechners und bevorzugt «damit keine Destinationen gegenüber andern», wie Sotomo schreibt. Und drum zu bedenken gibt: «Das ‹Modell Nationalrat› könnte zu unbeabsichtigten Anreizen für lange Langstreckenflüge führen, die gewissermassen quersubventioniert werden.»
Konkret: Ein Flug nach Sydney kommt beim «Modell Nationalrat» pro Kilogramm ausgestossenes CO2 mehr als drei Mal so günstig wie ein Flug nach Palma de Mallorca. Und wer fliegt vor allem nach Sydney? Es sind die wenigen reichen bis superreichen Viel- und Weitfliegenden. Sie würden also gegenüber jenen Pauschalreisenden mit bescheidenem Einkommen bevorzugt, die einmal im Jahr für vierzehn Tage auf der Putzfraueninsel Ferien machen. Sie, die Verkäuferinnen, Baubüezer, Spengler, Automechanikerinnen, Reinigerinnen und Gastroangestellten, hätten also das Nachsehen. Und auch alle Portugiesen, Ungarinnen und Spanierinnen, die in der Schweiz arbeiten und über Weihnachten und Ostern zu ihren Familien fliegen.
Das Fazit der Forschungsstelle Sotomo: Für solche Quersubventionierungen gebe es «kaum eine begründbare Argumentation».
Modell «New Climate 2020»: Markanter Umverteilungseffekt
Interessant am Modell «New Climate 2020» ist die Umverteilung von oben nach unten. Das belegt die Sotomo-Studie: «Es hat gemessen am Gesamtumsatz der vorgeschlagenen Flugticketabgabe von rund 330 Millionen Franken im Jahr einen markanten Umverteilungseffekt: Die Einkommensklassen von über 12’000 Franken zahlen insgesamt rund 46 Millionen Franken mehr, als sie erhalten. Die Einkommen unter 6000 Franken erhalten insgesamt rund 55 Millionen Franken mehr, als sie bezahlen.» Damit ist es sicher auch für die Mehrheit der Unia-Mitglieder interessant.