Schwangere haben Recht auf Arbeitslosengelder
Riesiger Sieg für die Frauen in der Schweiz

Die Walliser Behörden wollten Schwangeren das Arbeitslosengeld streichen. Amelia ­Duerte* (33) wehrte sich – und das Bundesgericht gibt ihr jetzt recht.

VIELE BUNTE BÄUCHE: Passend zum 8. März, dem Internationalen Tag der Frauen, urteilte das Bundesgericht, dass Behörden schwangere Arbeitslose nicht diskriminieren dürfen. (Foto: Getty)

Seit fast zehn Jahren arbeitet Amelia Duerte* als Gastroangestellte in Zermatt. Jeden Sommer und Winter bedient sie die Gäste am Hotelbuffet. Ihr Arbeitsvertrag: immer befristet für die Saison. So, wie es in der Tourismushochburg Zermatt meistens der Fall ist.

Im Sommer 2018 erfährt Duerte, dass das Hotel sie im nächsten Winter nicht anstellen will. Sie ist schwanger, der Geburtstermin ist im Dezember. Also beginnt die werdende Mutter, Bewerbungen zu schreiben. Im Oktober meldet sie sich beim RAV. Und ahnt nicht, was jetzt auf sie zukommt.

Am Anfang läuft noch alles wie immer: Duerte geht zum Erstgespräch aufs RAV. Dort wird ihr gesagt, dass Schwangere ab zwei Monaten vor dem errechneten Geburtstermin von der Stellensuche befreit seien. Verpflichtet ist sie nur, Stellenzuweisungen anzunehmen und an «arbeitsmarktlichen Massnahmen» wie Umschulungskursen teilzunehmen.
Duerte schreibt trotzdem weiter Bewerbungen. Sie will einen Job finden. Doch falls es nicht klappt, kann sie jetzt im Notfall wenigstens mit Arbeitslosenentschädigung rechnen. Und ist so ein bisschen abgesichert. Das denkt Duerte zumindest.

«Es ist beschämend dass wir Frauen noch heute für unsere Rechte vor Gericht müssen.»

SKANDALÖSER ENTSCHEID

Denn in der Zwischenzeit meldet sich das RAV bei der Walliser Arbeitsbehörde, der Dienststelle für Industrie, Handel und Arbeit (DIHA). Die soll bestätigen, dass die Schwangere als vermittlungsfähig einzustufen sei. Das ist Voraussetzung, damit sie die Arbeitslosenentschädigung bekommt. Doch: die Behörde sagt Nein. Mit dem Argument, dass wohl keine Firma eine schwangere Frau einstellen wolle.

Plötzlich steht Duerte vor dem Nichts. Zum Glück ist sie Mitglied bei der Unia, und die reagiert sofort. Unia-Juristin Myriam Muff schreibt eine Einsprache. Für sie ist klar: «Der Entscheid ist diskriminierend, werden naturgemäss doch nur Frauen schwanger.» Und: «Das zu bestrafen ist absurd.» Und es verstösst auch gegen das Gesetz. Zum einen gilt in der Schweizer Bundesverfassung das Recht auf ­Familiengründung. Zum anderen hält das Gleichstellungsgesetz fest: Es ist verboten, eine Frau wegen Mutterschaft nicht einzustellen. Im Fall von Duerte heisst das: «Die DIHA geht bei ihrem Entscheid offenbar davon aus, dass alle Arbeitgeber das Gesetz missachten», erklärt Juristin Muff. Obwohl eine Schwangere weder für die Arbeitgeber noch für die Arbeitslosenkasse ein finanzielles Risiko sei. Schliesslich wird der Mutterschaftsurlaub über die Erwerbsersatzordnung (EO) gedeckt.

STURE BEHÖRDE

Die Haltung der Walliser Arbeitsbehörde sorgt auch beim Walliser Kantonsgericht für Stirnrunzeln. Am 20. Mai 2019 gibt sie der Unia recht und verfügt: Frau Duerte ist die Arbeitslosenentschädigung zu bezahlen.

Damit hätte die Geschichte zu Ende sein können. Doch anstatt der jungen Mutter das Geld endlich überweisen zu lassen, zieht die Arbeitsbehörde den Entscheid ans Bundesgericht weiter. Im Wissen, dass arbeitslose Schwangere in der ganzen Schweiz künftig finanziell im Stich gelassen würden – wenn sich die Behörde doch noch durchsetzt. Und das, obwohl die Frauen ihr ganzes Berufsleben lang in die Arbeitslosenversicherung (ALV) einzahlen. Für Unia-Juristin Muff geht das nicht auf: «Es kann doch nicht sein, dass Frauen ihre Beiträge zahlen und dann, wenn sie arbeitslos werden, nicht versichert sind.»

Und: Mittlerweile ist Amelia Duerte nicht mehr der einzige «Fall». Im Frühling 2019 meldet sich Isabella Costa* bei der Unia. Auch sie arbeitet seit zehn Jahren als Zimmerfrau in Zermatt, wird bald Mutter und ist für die Sommersaison nicht mehr angestellt worden. Und auch sie bekommt jetzt kein Arbeitslosengeld. Die Walliser Arbeitsbehörde wolle den Entscheid vom Bundesgericht abwarten.

ERLÖSENDE NACHRICHT

Juristin Muff weiss: Hier trifft es gerade jene, für die die Situation sowieso schon prekär ist. «Diese Frauen arbeiten Vollzeit, haben schlechte Löhne, immer nur befristete Verträge, keine Anstellung bei Schwangerschaft. Und sie werden jetzt – auf alles hinauf – dafür noch von der Arbeitslosenkasse bestraft.» Jetzt hängt alles vom Bundesgericht ab. Doch bis zum Entscheid dauert es mehrere Monate. Unterdessen äussert sich auch das Staatssekretariat für Wirtschaft zur Situation – und stützt die Position der Unia praktisch in allen Punkten.

Und dann, endlich, stellt auch das Bundesgericht klar: Schwangere Frauen sind vermittlungsfähig – und haben Anrecht auf Taggelder. Es ist ein riesiger Sieg für die Frauen. «Und zwar für alle Frauen!» sagt Myriam Muff. Auch wenn sie es doch «beschämend» findet, «dass wir Frauen in der Schweiz noch heute für unsere Rechte vor Gericht müssen.»

Das Bundesgericht hat das Urteil kurz vor dem Internationalen Frauentag am 8. März veröffentlicht. Es gäbe kein passenderes Datum.

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