Schulunterricht zu Hause: Den TV jetzt an- statt abschalten!

Wegen Corona erlebt das Schulfernsehen ein Revival. Die Flimmerkiste als Lehrerin ist besser als ihr Ruf.

KÄMPFERIN: In der Geschichts-Doku «Die wahren Amazonen» räumt das Schweizer Fernsehen mit dem verbreiteten Mythos auf, Kriegsführung und Kampf seien reine Männerangelegenheiten. (Foto: SRF)

Seit zwei Wochen muss niemand mehr die Schulbank drücken. Mit einem ­historisch einzigartigen Machtwort verfügte der Bundesrat eine landesweite Schulschliessung bis mindestens 4.  April. Lernen sollen die Kinder und Jugendlichen aber weiterhin – von zu Hause aus – und auch über ein Medium, das seit seiner Einführung im Jahr 1961 (erste Schweizer Schul-TV-Sendung: rebrand.ly/TV1961) etwas aus der Mode gekommen ist: das Schulfernsehen.

Im Nu baute deshalb das Schweizer Radio und Fernsehen (SRF) sein Angebot aus. Bereits drei Tage nach dem Verbot des Präsenzunterrichts verdoppelte das Schweizer Fernsehen sein Angebot auf «SRF mySchool». Seither moderiert wochentags von 9 bis 11 Uhr morgens der junge Appenzeller Gymnasiallehrer und Talkmaster Raphael Labhart durch eine thematisch vielseitige «Doppelstunde» auf SRF 1. Kurze Dokumentarfilme beleuchten da zum Beispiel Biologisches wie das Leben der Skorpio­­ne, Historisches wie die Schweizer Städte im Mittelalter oder Technisches wie die Architektur von Wolkenkratzern. Sollten Langschläfer die TV-Lektionen einmal verpassen, können diese jederzeit online nachgeschaut werden. Das Stöbern durch die Online-Mediathek von «SRF mySchool» (srf.ch/my­school) lohnt sich aber ohnehin, denn da findet sich Erstaunliches.

«SRF mySchool» macht gross und klein gescheiter.

LEHRPLAN-KONFORM

Für Kinder der Primarstufe ist besonders die Webserie «Clip und klar!» in­teressant. In kurzen Erklärvideos erläutern dort TV-Lehrer Labhart und seine Basler Kollegin Reena Thelly ­allerlei Zusammenhänge, über die auch so manche Erwachsene noch ­nie nachgedacht haben dürften. Oder könnten Sie aus dem Stegreif erklären, was die UNO-Kinderrechte sind? Oder wie der Hund einst zum Menschen kam? Warum Brennnesseln brennen? Falls nicht, sollten Sie Ihrem Nachwuchs beim Fernsehen gelegentlich über die Schultern gucken. Oder noch besser: sich die neuen Erkenntnisse vom Kind gleich vortragen lassen. Denn das verstärkt den Lerneffekt!

Warum aber sollten Schülerinnen und Schüler ausgerechnet SRF wählen, wo doch zurzeit auch viele andere deutschsprachige TV-Sender ihr pädagogisches Programm erweitern und wo sich auch auf Youtube unzählige Tutorials finden lassen? Zwei triftige Gründe sprechen dafür: Das Lernprogramm von SRF ist im Gegensatz zu vielen Youtube-Videos seriös recherchiert und garantiert Fake-News-frei. Ausserdem ist es mit dem Lehrplan 21 der Deutschschweizer Volksschulen abgestimmt, entspricht also ungefähr dem Stoff, der in normalen Zeiten in den Klassenzimmern vermittelt wird. Aber auch sonst ist das SRF-Primarschulprogramm auf der Höhe der Zeit.  Besonders in gesellschaftspolitischer Hinsicht. So behandelt «Clip und klar!» auch drängende Zeitfragen wie: «Was heisst Solidarität?», «Was ist Food-Waste?» oder «Warum flüchten Menschen?». Und schon vor der Corona-Krise erklärte Bildschirmlehrer Labhart den Kiddies, «warum Händewaschen so wichtig ist» – und vermittelte nebenbei ein paar elementare Grundlagen der Biologie, Chemie und Physik.

SELTENE PERLEN

Auch ältere Schulpflichtige der Sekundarstufen I und II werden auf «SRF mySchool» fündig – und gescheiter. Für sie hat der Sender nämlich ein Programm zusammengestiefelt, das die gesamte Fächerpalette abdeckt. Und einige seltene Perlen beinhaltet. Absolut herausragend ist zum Beispiel die vierteilige Geschichts-Doku «Die wahren Amazonen». Darin wird mit dem verbreiteten Mythos gebrochen, Kriegsführung und Kampf seien reine Männerangelegenheiten. Aus einer globalgeschichtlichen Perspektive zeigt die Reihe, dass in der Geschichte Frauen fast überall auf der Welt gefürchtete Kämpferinnen stellten und wichtigste militärische Funktionen wahrnahmen. Da waren etwa die begehrten Gladiatorinnen im alten Rom, die westafrikanischen Agooji-Elitekriegerinnen im Freiheitskampf gegen französische Kolonisa­toren oder die Wikingerinnen, die auf ihren Raubzügen den Männern in nichts nachstanden.

Drei verschiedene Liebesschnulzen-Serien auf französisch, englisch und italienisch dürften den Teenies auch das Sprachenlernen schmackhaft machen. Allerdings fehlt es an systematisch aufbauenden Angeboten zu kopfzerbrechenden Brocken der Mathematik, Chemie oder der Grammatik. Möglich, dass auch hierzu schon bald eine Lösung winkt. Denn bereits steht zur Debatte, SRF  2 temporär ganz zum Schulsender umzubauen.

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