Jean Ziegler
Ibrahim Khraishi ist der Botschafter Palästinas bei der Uno in Genf, eine hochangesehene Persönlichkeit. Von Beruf Arzt, entstammt er einer alten, traditionellen Familie aus Jerusalem. Er ist ein Schulkamerad und enger Freund des palästinensischen Präsidenten Mahmut Abbas.
Ein Meisterstück. In der März-Session 2016 des Uno-Menschenrechtsrates gelang ihm ein diplomatisches Meisterstück: Mit grosser Mehrheit verabschiedete der Rat eine Resolution, die das Uno-Hochkommissariat für Menschenrechte damit beauftrage, eine Liste aller internationalen Firmen zu erstellen, die bei der Errichtung israelischer Kolonien in den besetzten palästinensischen Gebieten beteiligt sind.
Ein glücklicher Zufall wollte es, dass zu dieser Zeit der Vorsitz des Ministerrates der Europäischen Union bei den Niederlanden lag. So hatte Roderick van Schreven, der kluge Botschafter der niederländischen Regierung, die Aufgabe, das Votum der EU-Staaten, die Mitglied des Menschenrechtsrates sind, zu koordinieren. Dank ihm unterstützten die EU-Staaten Khraishi.
Wer den Siedlern im besetzten Westjordanland hilft, macht sich des Völkerrechtsbruchs schuldig.
Jitzchak Rabin und Jassir Arafat unterschrieben 1993 auf dem Rasen des Weissen Hauses in Washington die sogenannten Verträge von Oslo. Norwegische Diplomaten hatten einen detaillierten Friedensplan ausgearbeitet. Er definierte die Grenzen zwischen dem neuen palästinensischen Staat und Israel. Die in den besetzten Gebieten existierenden Kolonien sollten mehrheitlich aufgelöst werden. Rabin wurde mehrere Monate später von einem israelischen Fanatiker in Tel Aviv erschossen. Sein Nachfolger Schimon Peres beugte sich der extremen Rechten und sabotierte die Oslo-Verträge. Resultat: 1993 beherbergten die illegalen Siedlungen 250’000 Siedlerinnen und Siedler. Heute sind es 630’000.
Im Uno-Hochkommissariat für Menschenrechte residierte damals der jordanische Prinz Seid bin Ra’ad Seid Al-Hussein. Er sabotierte die Resolution und weigerte sich, die Firmenliste zu erstellen. 2018 entliess Uno-Generalsekretär António Guterres den Prinzen und ernannte die Chilenin Michelle Bachelet. Sie publizierte am 12. Februar dieses Jahres die seit 2016 geforderte Liste mit 112 multinationalen Unternehmen aus neun Staaten.
DIE STÄRKSTE WAFFE. Warum ist sie so wichtig? Die israelischen Kolonien im Westjordanland verstossen gegen die vierte Genfer Konvention. Sie beruhen auf Land- und Wasserraub. Wer den Siedlern dabei hilft, macht sich auch des Völkerrechtsbruchs schuldig. Solche Firmen sind damit von allen Projekten ausgeschlossen, welche die Weltbank bezahlt. Am 26. Februar publizierten sechs bekannte israelische Oppositionelle in «Le Monde» eine Erklärung, in der es heisst: Die Uno-Liste ist die stärkste Waffe gegen den zunehmenden Landraub und ein wichtiger Schritt zur Anerkennung eines palästinensischen Staates und damit zum Frieden im Nahen Osten. Recht haben sie. Danke an Ibrahim Khraishi und Michelle Bachelet.
Jean Ziegler ist Soziologe, Vizepräsident des beratenden Ausschusses des Uno-Menschenrechtsrates und Autor. Sein neustes Buch ist: Die Schande Europas. Von Flüchtlingen und Menschenrechten.
wo kann man die liste einsehen?