Corona-Stress: Modeketten Tally Weijl & Chicorée sparen beim Personal
«Hilfe, ich bin jetzt ganz allein im Laden!»

Desinfizieren, ­Kundinnen und Kunden zählen, ­Polizei spielen: Mode­verkäuferinnen haben jetzt noch mehr zu tun als vorher. Aber Tally ­Weijl und Chicorée setzen nicht mehr Mitarbeitende ein, sondern weniger.

SCHÄBIG: Viele Modeketten drücken lieber die Lohnkosten, als die Gesundheit der Mitarbeitenden zu schützen. (Foto: DPA)

Maximal 19 Personen dürfen sich gleichzeitig im Chicorée-Kleiderladen aufhalten, in dem Gerda Roth * arbeitet. Damit der Corona-Mindestabstand gewährleistet ist. Aber Roth sagt: «Ich kann die Leute nicht zählen, der Laden ist gut 200 Quadratmeter gross. Und ich bin alleine!»

Einmal habe sie versucht zu zählen und sei auf 18 Leute gekommen. Aber ein paar habe sie wohl über­sehen zwischen den Gestellen. Und sowieso: «Ich war an der Kasse am Bedienen. Da kann ich nicht gleichzeitig ­Polizei spielen und die Leute raus­schicken.»

Dabei gibt es jetzt mit den Corona-Schutzmassnahmen mehr zu tun als vorher. Theoretisch müsste sie die Umkleidekabinen nach jeder Kundin desinfizieren. Zusätzlich zum ­Beraten, zum Einkassieren, zum Aufräumen. Roth sagt: «Für eine Person alleine ist das nicht machbar.»

«Die Kasse ist zuhinterst im Laden. Ich sehe nicht, was beim Eingang ­passiert.»

UNGENÜGENDER SCHUTZ

Vor Corona seien sie meist zu zweit im Laden gewesen, sagt Roth. Am Samstag sogar zu dritt. Jetzt nur noch alleine, um die Lohnkosten zu drücken. Ein Chicorée-Sprecher schreibt, die Kundenfrequenzen seien seit der Wiederöffnung am 11. Mai «sehr unterschiedlich». Man passe die Personaleinteilung laufend an. Der Unia sind allerdings zahl­reiche Filialen bekannt, in denen ­derzeit nur eine Verkäuferin eingeteilt ist.

Auch die Verkäuferin Andrea Fischer * ist ständig alleine im Laden. Sie arbeitet für Tally Weijl. Die Basler Modekette kämpft wegen der Corona-Krise mit akuten Geldproblemen. ­Anfang Mai kündigte sie an, von den 635 Stellen in der Schweiz 50 bis 80 zu streichen. Doch schon vor Corona sei in ihrer Filiale gespart worden, sagt ­Fischer: «Früher waren wir immer zu zweit im Laden. Eines Tages hiess es: Ab jetzt muss es eine Verkäuferin allein machen.» Tally Weijl schreibt, in einigen Läden habe man das Personal «bereits aufgestockt». In «weniger als zehn Prozent» der knapp 80 Läden in der Schweiz sei derzeit nur eine Person eingeteilt.

Anne Rubin, bei der Unia für den Detailhandel zuständig, geht das zu wenig weit. Sie stellt klar: «Ketten, die jetzt nur eine Person pro Laden einteilen, nehmen ihre Verantwortung nicht wahr. Die Mitarbeitenden, aber auch die Kundschaft werden so nicht genügend vor einer Corona-Ansteckung geschützt.» Die Unia habe die ihr bekannten Fälle den Firmen und den zuständigen Behörden gemeldet.

IMMER ALLES DESINFIZIEREN

Tally-Weijl-Verkäuferin Fischer sagt, für einen wirksamen Schutz brauche es zwei Mitarbeitende. Bei ihr sind zwar die Umkleidekabinen geschlossen, die Kundinnen müssen zu Hause anprobieren. Aber das sei keine Erleichterung, sagt sie: «Kleider, die sie zurückbringen, muss ich mit Dampf desinfizieren. Und gleichzeitig den Laden schmeissen. Das funktioniert nicht.» Zum Desinfizieren mit Dampf schreibt das BAG, das beseitige die ­Viren innert Kürze, «wahrscheinlich ­innert Sekunden». Am Ladeneingang liegen Kärtchen. Jede Kundin muss eins nehmen und beim Verlassen wieder zurücklegen. Fischer sagt: «Viele Leute nehmen kein Kärtchen. Oder nur eins für die ganze Familie. Und meine Kasse ist zuhinterst im Laden. Von dort aus sehe ich nicht, was beim Eingang passiert.»

Neu muss sie alles desinfizieren, was eine Kundin anfasst. Ihre eigentliche Arbeit, nämlich das Beraten der Kundschaft, komme zu kurz. «Manchmal bin ich am Beraten, aber die Kundin hat schon vier, fünf Teile angefasst. Dann muss ich abbrechen und die Kleider desinfizieren. Das ist einfach frustrierend!»

* Name geändert

Non-Food-Detailhandel: Mangelhafter Schutz

In vielen Läden ist der Corona-Schutz noch mangelhaft. Das zeigen die Rückmeldungen der Unia-Mitglieder. Über 300 von ihnen haben bisher die Unia-Checkliste zum Non-Food-Detailhandel ausgefüllt. Ein Fünftel hat keinen Plexiglasschutz an der Kasse. Und sogar 44 Prozent sagen, die maximale Anzahl Personen im Laden werde nicht von einer Person kontrolliert, die dies als Hauptaufgabe habe.

KEINE MASKENPFLICHT. 28 Prozent sagen, der Abstand von zwei Metern werde im Laden und in den Pausen­räumen nicht eingehalten. Und bei Tätigkeiten, bei denen kein Abstand möglich ist, etwa beim Anprobieren oder Anpassen von Kleidern, sagen 42 Prozent, das Tragen einer Maske sei für Kundschaft und Mitarbeitende nicht obligatorisch.

Link zur Checkliste: bit.ly/corona-detailhandel


Lädelen in Corona-Zeiten: Schutzkonzept, alles gut?

Wägeli-Desinfektion: Macht Viren den Garaus. (Foto: Keystone)

Die Migros-Verkäuferin sagt: Heute müsse sie «nur» drei Stunden hier sein und die Leute zählen. Gestern seien es fünf Stunden gewesen. «Obwohl ich sitzen kann, ist es sehr anstrengend, sich so lange ohne Pause konzentrieren zu müssen.» Für jede Person, die den SportXX verlässt oder den Do-it betritt, tippt sie aufs richtige Tablet. Das System sagt ihr, wie viele noch reindürfen.

KLAPPT NICHT. In allen Läden ist Plexiglas an der Kasse Standard. Genauso wie Desinfek­tionsmittel am Eingang und Abstandsmarkierungen am Boden. So sieht es das Schutzkonzept des Branchenverbandes Swiss Retail Federation vor. Unterschiede gibt es bei der Kon­trolle der maximal erlaubten Personen. Coop, C & A und Drogerie Müller haben dasselbe System wie die Migros. Globus und H & M haben automatische Zählsysteme, teils unterstützt durch Mitarbeitende. Alles scheint gut zu klappen. Bei den Modehäusern Mango und Naf Naf sowie bei der Buchhandelskette Weltbild steht die maximal zugelassene Besucherzahl zwar am Eingang angeschrieben, kontrolliert wird aber nicht. Bei Ochsner Sport gibt es Karten zum Mitnehmen und zum Wiederhinlegen. Doch ein kurzer Augenschein zeigt: Das funktioniert nicht. Mehrere junge Männer gehen hinein, ohne eine Karte zu nehmen. Negativ fällt auch Manor auf: Es ist nicht ersichtlich, dass die Anzahl Personen im Laden gezählt wird. Dabei steht im Schutzkonzept: «Regeln Sie die Zutrittskontrolle, z. B. über eigene Mitarbeiter, einen Security-Service, technische Zutrittskontrolle.»

Skurriles auch auf dem Herren-WC bei Manor: Zwei WC und drei Pissoirs stehen zur Auswahl. Erst beim Händewaschen sieht man das Schild: «In diesem Raum sind nur zwei Personen erlaubt.»

Die Zutrittskontrolle funktioniert in vielen Fällen nicht.

NO KIDS. Bei C & A sticht ein Hinweis ins Auge: «Wir finden es gut, wenn Sie derzeit den Einkauf nicht als Familienausflug vorsehen.» Eine gute Idee. Aber viele Eltern halten sich beim work-Augenschein nicht daran. Drinnen schützen sich die Mitarbeitenden mit Masken. Das ist ungewohnt, aber sehr gut verständlich.

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