Andreas Rieger
In der EU geht es mit der Regelung der internationalen Konzernverantwortung vorwärts. Also mit der Haftung von international tätigen Firmen, wenn sie Menschenrechtsverletzungen begehen oder verbindliche Umweltstandards missachten. Didier Reynders, Justizminister der EU-Kommission, sagt: «Wir müssen jetzt handeln!» Es brauche verbindliche Anforderungen für die Konzerne. Eine Studie über die bisherige Realität der Konzernverantwortung in den EU-Staaten hat gezeigt, dass unverbindliche Regeln und blosse Berichterstattung nichts bringen. Deshalb sagt Reynders: «Eine Regulierung ohne Sanktionen ist keine Regulierung.»
Wird die EU die Schweiz schon bald überholen?
FRANZÖSISCHES MODELL. In Frankreich gibt es bereits seit zwei Jahren die bisher umfassendste Regulierung der internationalen Konzernverantwortung. Französische Unternehmer beklagen sich nun, sie würden härter angefasst als ihre Konkurrenten. Deshalb macht Frankreich zusammen mit anderen Ländern Druck für eine verschärfte EU-Regelung. Und Reynders will jetzt beim französischen Modell anknüpfen. Noch in diesem Jahr schickt er einen Gesetzesentwurf in die Vernehmlassung, im nächsten Jahr sind Beratung und Verabschiedung in den EU-Institutionen vorgesehen. Das ist ein Meilenstein. Einer, über den absehbar Bundesrätin Karin Keller-Sutter stolpern wird.
DURCHSICHTIGES MANÖVER. Die Justizministerin brachte kürzlich einen Alibi-Gegenvorschlag zur Schweizer Konzernverantwortungsinitiative (KoVI) ein. Diese will Multis ähnlich dem französischen Modell in die Pflicht nehmen. Keller-Sutter argumentierte, die Schweiz solle sich an der EU orientieren und nicht strengere Regeln beschliessen als diese. Mit diesem Manöver will die Justizministerin, die sich von der Vereinigung der Grosskonzerne «Swissholdings» briefen lässt, die Initiative versenken. Die Ironie: Gelingt ihr das Manöver und macht die EU nun tatsächlich vorwärts, dann wird für die Schweizer Konzerne ab 2022 die alte, zahnlose EU-Regulierung gelten. Während sich die Konzerne in der EU an eine strengere Regulierung halten müssen, ähnlich der Konzernverantwortungsinitiative. Und die Schweiz wäre dann wieder mal peinliches Schlusslicht. So wie schon beim Steuerhinterziehungsgeheimnis.
Andreas Rieger war Co-Präsident der Unia. Er ist in der europäischen Gewerkschaftsbewegung aktiv.