Die Coltan-Kinder von Kivu

Jean Ziegler

Jean Ziegler

Es gibt Begegnungen im Leben, die man niemals vergisst. Niemals werde ich die verängstigten Blicke und die abgemagerten Körper der Kinder und Jugendlichen vergessen, die sich für einen Hungerlohn und ständig bedroht von den Gewehren der Milizen in den Coltan-Minen von Kivu in Ostkongo abquälen. Coltan ist ein hochwertiges Mineral, das für Handys, unter anderem aber auch beim Flugzeugbau verwendet wird. Es wird in brüchigem Gestein abgebaut, in 20 bis 30 Meter tiefen Schächten, in die nur schmale Kinder heruntergelassen werden können.

Die Minen werden von einheimischen afrikanischen oder libanesischen Unternehmen betrieben. Sie verkaufen ihre Ausbeute der staat­lichen kongolesischen Minengesellschaft Gecamines, und diese wiederum verkauft das Coltan an Weltkonzerne wie Glencore, Rio Tinto oder Freeport-McMoran.

Wieder einmal haben die Konzern-Moguln und ihre Lakaien im Bundeshaus gewonnen.

KELLER-SUTTERS DIENST. In Bern ist in diesem Monat ein über zweijähriger parlamentarischer Kleinkrieg zu Ende gegangen. Streit­objekt: die Volksinitiative zur Konzernverantwortung. Die Initiative will transkontinentale Konzerne für Menschenrechtsverletzungen und Umweltschäden ihrer Tochterfirmen und Zulieferer schadenersatzpflichtig machen. Gerichtsstand soll der Heimatort der Konzerne sein.
Der Nationalrat arbeitete einen Gegenvorschlag aus, der ebenfalls die Schadenersatzpflicht festlegt, wenn auch mit einigen Einschränkungen. Getrieben vom Bundesrat, genauer von Justizministerin Karin Keller-Sutter, die sich von den Grosskonzernen inspirieren liess, machte der Ständerat seinerseits einen Gegenvorschlag. Dieser setzt auf «Selbstkontrolle» anstelle von rechtlicher Verantwortung und sieht lediglich eine unverbindliche Pflicht zur Berichterstattung der Konzerne vor.

Am 4. Juni beschloss die Schlichtungskommission der beiden Räte, den ständerätlichen Gegenvorschlag durchzusetzen.

Wieder einmal haben – wenigstens in der Zwischenzeit – die Konzern-Moguln und ihre Lakaien im Bundeshaus den Streit gewonnen.

GRUNDFALSCH. Was sind ihre Argumente? Erstens: Die Konzerne würden freiwillig Menschenrechte und Umweltnormen weltweit bei ihren Geschäften respektieren, weil sie eine Beschädigung des Ansehens der Schweiz vermeiden wollten. Zweitens: Die Schweiz brauche keine neuen Normen, weil die Uno bereits solche ­Normen vorbereite. Beide Behauptungen sind grundfalsch. Unser Land beherbergt über 700 transkontinentale Privatkonzerne, und mehr als die Hälfte davon gehören ausländischen Kapitalisten. Diese kümmern sich einen Dreck um das Ansehen der Schweiz in der Welt. Und die Uno hat soeben das Projekt einer internationalen Konvention zur Konzernverantwortlichkeit begraben. Staaten der Europäischen Union, die USA und Japan haben die Sabotage organisiert. Im Auftrag der Konzerne.

Bleibt die Volksabstimmung im kommenden November. Ich hoffe innigst, unser Volk werde dem Gebot der Gerechtigkeit und der Vernunft folgen, die Initiative annehmen und die Coltan-Kinder in Ostkongo von ihrem Leid befreien.

Jean Ziegler ist Soziologe, Vizepräsident des beratenden Ausschusses des Uno-Menschenrechtsrates und Autor. Sein neustes Buch ist: Die Schande Europas.
Von Flüchtlingen und Menschenrechten.

1 Kommentare

  1. Theres Germann-Tillmann 22. September 2020 um 13:39 Uhr

    Für die Kinder und Jugendlichen vom Ostkongo

    Gier versus Gesundheit und Krankheit

    Als Pflegefachfrau HF und Berufsschullehrerin Pflege ist es mir nicht egal, wenn Menschen durch vergiftete Flüsse bzw. Trinkwasser, Schwermetalle und Staub in der Luft, Rohstoffabbau in Gruben und versprühen von Pestiziden auf Feldern, schwer erkranken. Die Krankheiten (Asthma; Organschäden: Leber, Milz; Anämie, Lähmungen, etc.) führen zu irreversiblen Schäden und manchmal zum Tod. Am Ende der Schadenskette stehen Kinder und Erwachsene.
    Die Konzernverantwortungsinitiative verlangt eine Selbstverständlichkeit: Grosskonzerne wie Glencore, LafargeHolcim, Syngenta, Louis Dreyfus AG, etc. mit Sitz in der Schweiz, sollen für ihren angerichteten Schaden durch ihre Tochterfirmen im Ausland, gerade stehen. KMU sind von der Initiative nicht betroffen, da sie in der Regel keine Tochterfirmen im Ausland betreiben. Oder mit dem Weg Wort der Bahnhofkirche Zürich ausgedrückt:“ Die Schweiz gehört zu den reichsten Ländern der Erde. Das haben wir nicht nur durch unsere Arbeit erreicht, sondern auch durch Ausbeutung von Menschen in anderen Teilen der Welt. Die Stimmen, die sich gegen die Ausbeutung von Menschen für unseren Wohlstand einsetzen, kommen aus unserer Mitte. Sie wollen erreichen, dass die betreffenden Konzerne für ihr Tun zur Verantwortung gezogen werden. Die modernen Befreier sind die Initianten der Konzernverantwortungsinitiative.“
    Ich will hinschauen und nicht wegschauen. Ich will mich auch nicht von den Konzernen und ihrer Lobby durch Falschaussagen verein Namen, belügen oder in die Irre führen lassen. Gier (Profit und Dividenden) versus Gesundheit und Gerechtigkeit. Das darf nicht sein! Setzen wir ein Zeichen:. JA! Am 29. November 2020 stimmen wir über die Konzernverantwortungsinitiative ab.

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