Die erste und einzige Unia-Frauenpräsidentin geht in Pension:
Adieu, einmalige Ursula Mattmann!

Keine ist wie sie: Ursula Mattmann war die erste und bisher einzige Präsidentin der Unia-Frauen. Und was für eine!

FIT UND FRÖHLICH: Ursula Mattmann auf ihrem Balkon in Schwerzenbach ZH. (Foto: Nicolas Zonvi)

Sie hat schon einen ganzen Sitzungstag hinter sich, als sie work zum Gespräch trifft. «Fit bin ich noch!» sagt sie fröhlich, und man glaubt es ihr sofort. Trotzdem tritt Ursula Mattman (73) am 2. Oktober als Präsidentin der Unia-Frauen zurück. Nach 15 Jahren «häts irgendwenn halt mol es Änd», findet die Lozärnerin, die schon seit stolzen vierzig Jahren Gewerkschafterin ist. Eine umtriebige dazu!

«EXOTIN» IM MÄNNERKOSMOS

Just am Arbeiterkampftag 1980 tritt Mattmann mit 33 in die Gewerkschaft Bau und Holz (GBH) ein, aus der später die GBI wird, die Gewerkschaft Bau und Industrie. Mattmann ist damals hauptberuflich Archivarin und wird bald schon GBI-Frauenpräsidentin. Und später sogar Präsidentin der GBI Zürich. Als erste Frau überhaupt sitzt sie nun an der Spitze einer GBI-Sektion.

«Ich war eine Exotin», erzählt Mattmann. Sie erzählt ohne Punkt und Komma. Wie immer voller Energie. Schliesslich hat sie viel zu erzählen.

Vor allem in ihrer Anfangszeit in der GBI-Ortsgruppe in Uster sei sie die einzige Frau unter vielen Männern gewesen: «Die haben mich zwar schon anständig behandelt.» Aber irgendwann wechselte sie trotzdem nach Zürich. Zur GBI-Frauengruppe. Einfach, weil es ihr «gstunke het», immer nur Männer um sich zu haben. Mattmann fährt mit den Armen in die Luft: «Mit denen konnte ich über gewisse Themen einfach nicht reden.» Krippenplätze oder Lohndiskriminierung und so.

Auch sonst muss sich Mattmann immer mal wieder über diese Männerwelt ärgern. Heute noch. Dann gehen die Wellen in ihrer Stimme hoch: «Isch doch wahr!» sagt sie. Als Mattmann zum ersten Mal an einem GBI-Kongress teilnimmt, fragt sie die Hotel-Réceptionistin, zu welchem der Herren sie denn gehöre. Mattmann explodiert: «Da habe ich der gesagt: ‹Entschuldigung, ich bin selbständig. Ich bin Delegierte. Und kein Anhängsel.›»

«Mini Tochter isch grad so guet wie öichi Buebe.»

VATER ALS VORBILD

Für sich und andere einzustehen: das hat Ursula schon als Kind gelernt. «Von meinem Vater», sagt sie stolz. Er hat sie als kleines Mädchen zu ihrer ersten Demo mitgenommen. «Ausgerechnet er, ein CVPler! Und dann noch im konservativen Luzern!» Aber bei dieser Demo sei es eben darum gegangen, dass auch Mädchen an die Kantonsschule dürften. Und für ihren Vater sei klar gewesen, «dass Meitli gleich gescheit sind wie Buben».

Und auch, dass Fussball kein reines Männerzeugs ist: Zu jedem Spiel des FC Luzern nimmt der Vater seine Tochter mit. Froh darüber, eine «Stammhalterin» zu haben, die gleich viel über den Club weiss wie er. Am Mittagstisch diskutieren die beiden übers «Tschutte». Und weil der Cousin beim Schlittschuhclub Luzern spielt, steht die kleine Ursula auch beim Hockey regelmässig in den Zuschauerrängen (siehe Spalte rechts).

STREIKS UND QUOTEN

Rückblickend sagt Mattmann: «Ich war von klein auf gewohnt, um Männer her­um zu sein und die gleichen Sachen zu machen wie sie.» Der Vater habe zu seinen Kollegen jeweils gesagt: «Mini Tochter isch grad so guet wie öichi Buebe.»

Erst später habe sie gemerkt, dass das alles nicht so selbstverständlich sei. Und die Gleichstellung längst noch nicht überall umgesetzt ist. Auch, wenn manche bürgerlichen Frauen das Gegenteil behaupten würden. «Dabei hatten die einfach nur Glück!» sagt Mattmann.

Wenn sich Frauen zusammentun, das gefällt Ursula Mattmann. In der Gewerkschaft, aber auch beim Frauenstreik. Beim ersten von 1991 arbeitete sie als Archivarin im Spital Uster. Sie muss lachen: «Da haben die Oberärzte das Mittagessen verteilen müssen, weil die Frauen an den Streik gingen.» Und am zweiten Frauenstreik, letztes Jahr, da seien ihr die vielen jungen Männer aufgefallen, die mit ihren Kindern unterwegs waren. «Da habe ich gedacht: ‹Es ändert sich also doch etwas.›»

Wenn auch nur in Mini-Schrittchen. Schliesslich waren die politischen Forderungen des Frauenstreiks 2019 genau dieselben wie schon 1991: Schluss mit Sexismus und Gewalt, rauf mit den Frauenrenten und natürlich: endlich Lohngleichheit. «Dafür hat ja meine Mutter schon gekämpft!» entfährt es Mattmann.

Aber sie weiss: Hartnäckig bleiben lohnt sich. Und das glaubt frau ihr bei ihrem Temperament aufs Wort. Ursula Mattmann hat es in der Unia erlebt, wo sie jahrelang für Quoten kämpfte. «Da brauchte ich eine Elefantenhaut», erzählt sie. Einmal wird sie an einer Versammlung sogar ausgebuht.

Aber es wird noch besser: 2008 am Unia-Kongress in Lugano. Der grosse Showdown naht: «Ich wusste: Jetzt muss ich alles geben!» Von der Bühne aus sagte sie zu den Delegierten: «Ich hab’s auch satt, mit euch immer über Quoten zu diskutieren. Wenn wir sie jetzt endlich bekommen, können wir in Zukunft wieder zusammen über inhaltliche Themen reden.» Und siehe da: Mattmann bekommt ihre Quoten. Und nicht nur sie: Seither gilt in allen nationalen Unia-Organen eine Mindestvertretung von 33 Prozent Frauen, in den Regionen sind es 25.

Für Mattmann ist dieser Sieg eines der grössten Highlights in ihrer Gewerkschaftslaufbahn: «Wunderbar, gäu!» Und klar: Dass Vania Alleva als erste Frau die Unia führt. Auch das ist «einfach super!».

So ist aus dem «Männerkosmos» von vor vierzig Jahren doch noch eine Gewerkschaft geworden, aus der die Frauen nicht mehr wegzudenken sind. Und das vor allem auch: dank Ursula Mattmann!­

Unia-Präsidentin Vania Alleva sagt: «Merci, Ursula!»

Ursula ist eine ­Powerfrau im wahrsten Sinne des Wortes: mit so viel Energie, so viel Engagement, eine Gewerkschafterin durch und durch. Als ­Archivarin wurde sie Mitglied bei der Unia-Vorvorgängergewerkschaft Bau und Holz. Zu einer Zeit, als dort praktisch nur Männer organisiert waren. Ursula stand denn auch immer konsequent, beharrlich, gradlinig für die Rechte der Frauen ein. Wir Frauen in der Unia müssen ihr ein Kränzchen winden, denn dank Ursula haben wir bei der Fusion die Interessengruppe Frauen als Organ mit Antrags- und Vertretungsrechten in die Unia übergeführt. Ursula ist eine gewiefte Taktiererin: ‹Sag nicht, welches Spiel du spielst, lasse dir nie ganz in die Karten schauen.›

IMMER FÜR DIE SACHE. Am Kongress in ­Lugano 2008 ist es dann gelungen, die Frauenquote noch besser in der Orga­nisation zu verankern. Wir haben heute ein Gleichstellungs­controlling, das sich sehen lassen kann. Ursula hat enorm viel Erfahrung in der Leitung von Gremien und ­Kampagnen. Sie hat eine ausgesprochene Menschenkenntnis. Und umsichtig hat sie fast zehn Jahre die nationale Delegiertenversammlung geleitet. Sie ist stark im ­Allianzen-Schmieden, immer für die Sache, nie mit persönlichem Machtanspruch. Und sie hat ein Gespür fürs richtige Mass, um ein künftiges Miteinander mit den Gegnern sicherzustellen. So trat sie nach Erfolgen auch nie triumphierend auf. Es geht ihr ­immer darum, die Rechte der Frauen ­voranzubringen, nie darum, die Männer zu erniedrigen. Im Gegenteil, sie hat mit Charme Männer immer wieder zu Verbündeten ­gemacht, in der tiefen Überzeugung, dass Gleichstellung ­allen zugute kommt. ­Ursula, danke für all das Geleistete!»


Ursula MattmannDie Bodenständige

Ursula Mattmann wird 1947 in Luzern geboren. Nach der Schule macht sie in Zürich eine Lehre am Postschalter. Dort lernt sie Pöstler Felix Alberto kennen, mit dem sie bis heute verheiratet ist. Das Paar hat eine Tochter und einen Sohn. Damit die Familie finanziell besser über die Runden kommt, arbeiten die Mattmanns eine Zeitlang auch nebenbei als Hauswartspaar und putzen Büros und Treppenhäuser.

SPORTSFRAU. Als das Spital Uster eine Archivarin sucht, beginnt Mattmann als Quereinsteigerin. Ihre erste Tat: Sie sortiert die bisher nach Geschlechtern getrennten Patientenakten um und ordnete sie neu nach Nachnamen und Alphabet.

Daneben sammelt Mattmann ehrenamtlich Unterschriften gegen Lohndumping, Rentenklau und Abschottung und ist in der Gewerkschaft in verschiedenen Gremien und Funktionen aktiv. Jahrelang auch als Präsidentin der Unia-Delegiertenversammlung. Als erste Frau.

Nun tritt sie als Unia-Frauen-Präsidentin ab. Und freut sich darauf, etwas mehr Zeit für ihre anderen Leidenschaften zu haben: Mattmann spielt Geige im Orchester. Sie ist Mitglied im Fanclub des Eishockeyclubs Dübendorf, wo sie an den Spielen ehrenamtlich die Eingangskontrolle macht. Und sie ist immer noch treue FCL-Anhängerin. Sie hofft «mit dem Göttibueb jetzt bald endlich mal wieder an einen Match zu gehen».

3 Kommentare

  1. Erika Schneider 7. Mai 2022 um 15:51 Uhr

    Man kennt sie schon noch.

  2. Katharina Schwab Oliver 7. Oktober 2020 um 19:01 Uhr

    Eine starke Frau, die Ursula! Ich wünsche dir das Beste für die Zukunft. Mögen sich unsere Wege wieder mal kreuzen. Bis dann, in abrazo fuerte

  3. Walser Bettina 7. Oktober 2020 um 16:42 Uhr

    Toll das ich dUrsula persönlich dörf känne und schätze – ich hoffe sie isch na lang bi öis im EHCD debi

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