Jean Ziegler
Franziska Teuscher, die Sozialdirektorin der Stadt Bern, ist eine temperamentvolle, kluge Frau. Gleich nach dem Brand des Flüchtlingslagers von Moria auf der Ägäisinsel Lesbos vermeldete sie, die Stadt Bern wolle 20 der schutzlosen Flüchtlinge aufnehmen. Bundesrätin Karin Keller-Sutter wehrte ab. Nur der Bund sei für die Flüchtlingspolitik zuständig.
Teuscher liess sich nicht beeindrucken. Die Bereitschaft der Stadt Bern, Flüchtlinge aufzunehmen, sei «als klare politische Forderung an den Bund zu verstehen, mehr Verantwortung bei der Bewältigung humanitärer Not zu zeigen und nun rasch zusätzliche Direktaufnahmen von Geflüchteten zu beschliessen».
ABSURD. Die helvetische Situation ist absurd. Die acht grössten Schweizer Städte verlangen eine Direktaufnahme von gepeinigten Menschen aus dem abgebrannten Lager. Viele der 12’000 Flüchtlinge übernachten auf dem vom Regen durchnässten Boden, sie haben keine regelmässige Nahrung und nicht genügend Trinkwasser. Die griechische Polizei hat mit Barrikaden den Zugang zur Hauptstadt Mytilini und damit zum einzigen Spital der Insel versperrt. Sie schiesst mit Tränengasgranaten und Gummigeschossen, auch auf Kinder.
Die Machtstruktur der Eidgenossenschaft ist seltsam. Es gibt das Staatssekretariat für Migration, eine Behörde, die von einem Staatssekretär geführt wird, der eine humane Flüchtlingspolitik vertritt. Aber ihre Umsetzung wird erschwert durch eine Justizministerin, die ganz auf der Linie der EU-Kommission liegt: Für sie sind die Flüchtlinge eine Gefahr für Europa. Weil sie Fremdenhass schürten und damit verantwortlich für den unheimlichen Aufstieg der fremdenfeindlichen Bewegungen in Europa seien. In der Schweiz starrt die bürgerliche Mehrheit des Bundesrates – wie das Kaninchen auf die Schlange – auf
die SVP.
Einige Zahlen: Die Schweiz behandelte 2015 über 39’000 Asylgesuche. 2019 waren es noch 14’000. Konsequenz: In den Unterkünften gibt es heute viel Platz. Im Spätherbst 1956 hat die Schweiz innerhalb von drei Monaten 13 000 ungarische Flüchtlinge problemlos aufgenommen. Wenn jeder der 27 EU-Staaten 480 Flüchtlinge aus Moria aufnähme,
wären alle gerettet.
ARROGANTE BETONKÖPFE. Doch die Betonköpfe in Brüssel werden weiterhin ihre Abschreckungsstrategie fortsetzen. Sie lassen die Flüchtlingsboote in die türkischen Küstengewässer zurückdrängen. Und zur Abschreckung halten sie unmenschliche Lebensbedingungen in den Lagern auf den griechischen Inseln aufrecht.
Es bleibt die Schweiz. Mich verstört, mit welcher Arroganz die Justizministerin und die bürgerliche Mehrheit des Bundesrates auf den klar formulierten Willen von Gemeindebehörden und von Zehntausenden Bürgerinnen und Bürgern reagiert. Es geht hier nicht um Kompetenz-Rangeleien. Was auf dem Spiel steht, sind Menschenleben und die Ehre der Schweiz. Dafür sind wir alle verantwortlich.
Jean Ziegler ist Soziologe, Vizepräsident des beratenden Ausschusses des Uno-Menschenrechtsrates und Autor. Sein neustes Buch ist: Die Schande Europas. Von Flüchtlingen und Menschenrechten.
Nein, ist sie nicht, unsere Verantwortung, Asylerpresser aufzunehmen! Oder, wie viele von diesen Goldstücken haben Sie aufgenommen, Herr Ziegler? Meine Grosseltern haben damals in den Kriegsjahren ihr Haus geöffnet für Flüchtlinge, Obdachlose – und unentgeldlich. Und ohne Asylindustrie! Sie, Herr Ziegler sollten endlich Ihren Ablass an Greta entrichten für die Million Kilometer, wo Sie Sinn-los den Ganoven nachgejettet sind, anstatt dem „Monster“ zu Genf – wie von Bruder Che angemahnt – ins kapitalistische Auge zu sehen.
Die Kolumnenschreib-Hilfskräfte des Herrn Ziegler bezeichnen politische Weggefährten des Meisters durchwegs und hartnäckig als „klug“. Sofern sie aus exotischen Landstrichen kommen, pflegen sie auch „aus den Augen“ zu „leuchten“. So beschrieb Karl May seinen Winnetou.