In Indien chrampfen schlecht entlöhnte Arbeiterinnen und Arbeiter für den Konzern Lafarge Holcim. Die Berner Fotografin Karin Scheidegger hielt dies mit der Kamera fest. Und bekam Ärger.
FOTOREPORTAGE: Für «Rich Lands of Poor People» begleitete Karin Scheidegger Taglöhner und Leiharbeiterinnen in Indien, wie hier am Protestmarsch in Bhilai. Und demaskierte dabei das Schweizer Unternehmen Lafarge Holcim. Scheideggers Reportage ist jetzt in Form eines 190seitigen Magazins erschienen. (Foto: Karin Scheidegger)
Ein reiches Land von armen Leuten: So nennt Fotografin Karin Scheidegger die Region Chhattisgarh im Nordosten Indiens. Reich, weil es dort haufenweise Bodenschätze gibt. Arm, weil die Bevölkerung wenig davon hat. Wer profitiert, sind Konzerne wie Lafarge Holcim. Der Zementmulti mit Sitz im sanktgallischen Rapperswil-Jona beutet nicht nur die Rohstoffe aus, sondern auch die Menschen. Scheidegger reiste zweimal nach Indien. Sie erinnert sich: «Vor meiner Reise hatte ich nicht viel mit Holcim am Hut.» Nachher aber umso mehr. Denn die Fotografin zog sich sofort Scherereien mit Polizei, Behörden und privaten Sicherheitskräften zu. Nur weil sie begann, sich für das Schicksal der Tagelöhner und Leiharbeiterinnen zu interessieren. Ihre Erfahrungen hat sie nun in einem Reportagemagazin aufgearbeitet, das die Unia mit einem Beitrag unterstützt hat.
Die indischen Leiharbeiterinnen und Leiharbeiter stehen auf der untersten Stufe der Arbeitswelt. Sie verdienen nur einen Drittel des Lohns von Festangestellten und sind weitgehend rechtlos. Zwar kümmert sich die indische Gewerkschaft PCSS um sie. Doch diese kann nicht viel ausrichten. Wer sich gegen Ausbeutung wehrt, bekommt es schnell mit den Behörden zu tun. So auch Fotografin Scheidegger. Als sie zusammen mit einem indischen Begleiter von der Strasse aus die Holcim-Fabrik fotografieren wollte, wurden sie von einem Sicherheitsmann des Unternehmens attackiert. Dieser war im Dorf berüchtigt für seine Übergriffe. Die Fotografin wollte daraufhin Klage bei der Polizei einreichen. Doch die Beamten wurden erst aktiv, als lokale Journalisten auftauchten, die vom Vorfall gehört hatten. Vom Polizeichef bekam Scheidegger nur zu hören: «Hier gibt’s für Touristen nichts zu sehen!» Als eine Klage von Holcim wegen angeblichen Hausfriedensbruchs einging, setzte die Polizei Scheidegger und ihren Begleiter fest.
So wurde die Schweizer Fotografin zu einem öffentlichen Fall, über den auch das indische Fernsehen berichtete. Das Gute daran: Auch der Kampf der Leiharbeitenden gegen Lohnraub und Diskriminierung wurde nun zu einem Thema.
MITTENDRINN. Fotografin Karin Scheidegger während ihrer Reportagereise.
KLEINE FORTSCHRITTE
Als Karin Scheidegger zwei Jahre später wieder nach Indien reisen wollte, erhielt sie kein Einreisevisum mehr. Ohne Begründung. Doch es ist klar, warum. Recherchen über skandalöse Zustände sind nicht nach dem Gusto der indischen Behörden. Sie wollen viel lieber kapitalkräftige Investoren anlocken, die Geld ins Land bringen. Menschenrechte kommen erst an zweiter Stelle.
Dennoch gibt es kleine Fortschritte. Die Leiharbeiter-Gewerkschaft konnte sich trotz allen Widrigkeiten Gehör verschaffen – nicht zuletzt mit Hilfe der Unia, die sie in ihrem Kampf unterstützt. Die PCSS hatte bereits im Jahr 2012 eine Klage eingereicht, um die damalige Holcim zur Einhaltung der freiwilligen OECD-Leitsätze für eine verantwortungsvolle Unternehmungsführung zu bewegen.
EINREISEVERBOT
Das Verfahren endete 2016 mit einer Vereinbarung. Holcim stellte tatsächlich einen Teil der Leiharbeitenden zu besseren Bedingungen an, wendete aber ansonsten einen Trick an: Sie heissen heute einfach «outsourced workers», ausgelagerte Arbeitende. Doch sie verdienen nach wie vor bedeutend weniger als Festangestellte und bleiben diskriminiert. Fotografin Karin Scheidegger sagt: «Die grundlegenden Probleme der Leiharbeit, der Vertreibung der ländlichen Bevölkerung und der Kriminalisierung von Gewerkschaften und sozialen Bewegungen sind damit nicht gelöst.» Scheidegger darf nicht mehr nach Indien. Aber mit ihrer Arbeit hat sie dazu beigetragen, dass wir jetzt alle wissen, mit welchen üblen Methoden Multis in anderen Ländern ihre Interessen durchsetzen. Sie hofft nun auf den 29. November. Dann kommt die Konzernverantwortungsinitiative zur Abstimmung. Sie verlangt von den Konzernen, dass sie für Menschenrechtsverstösse haften (siehe Box links). Ein Erfolg dieser Initiative wäre wohl ihre grösste Genugtuung.
Das Reportage-Magazin können Sie hier bestellen: karinscheidegger.ch/klick
Konzernverantwortungsinitiative: Darum geht’s
Konzerne mit Sitz in der Schweiz müssen bei ihren Geschäften die Menschenrechte achten und die Umweltstandards einhalten. Bei Verstössen sollen sie für die entstandenen Schäden haften. Das verlangt die Konzernverantwortungsinitiative, die am 29. November zur Abstimmung gelangt (konzern-initiative.ch). Sie wurde von Entwicklungs-, Umwelt- und kirchlichen Organisationen lanciert. Auch der Gewerkschaftsbund und die Unia unterstützen sie.
KRITIK. Im Parlament setzte sich die Konzernlobby durch, die gar keine Einschränkungen will. Im Juni scheiterte sogar ein Alibi-Gegenvorschlag, der keine Haftung, sondern bloss eine Pflicht zur Berichterstattung vorsah. Konzerne, die wegen ihrer ruchlosen Haltung immer wieder im Schussfeld der Kritik stehen, sind etwa der Minenmulti Glencore, der Zementriese Lafarge Holcim oder der Agrochemiekonzern Syngenta.