Katrin Bärtschi ist Briefträgerin in Bern und Gewerkschafterin.
Der Wecker klingelte viel zu früh, der Kaffee war dünn und fad, im Dunkeln trat die Briefträgerin auf eine Schnecke, die Velokette hängte nach dem ersten Pedaltritt aus. Und die Briefträgerin musste sie richten. Zunge bei Fuss erreichte sie den Bus gerade noch. Und vergass wegzuschauen und las den ganzen Graus auf dem Monitor. Im Stollen herrschte miese Stimmung, und der Schimpfkollege hatte einen seiner Tage. Endlich waren die Bünde und Kistchen parat, es regnete in Strömen, eines der Kistchen rutschte beim Eiltransport zum DXP vom Schiebkarren. Die Briefträgerin fluchte, sammelte hastig die Päckchen ein, belud ihr Fahrzeug und fuhr endlich los. Sie ärgerte sich zum x-ten Mal über die unleserliche Kastenanschrift am Rosenweg und werweisste, ob sie zum x-ten Mal einen Mahnzettel in den Kasten werfen solle. Heute besser vorwärtsmachen!
An einem Kasten der Vermerk «keine Werbung, bitch!».
NUR MÄNNERVORNAMEN. Die dünnen Zeitungsseiten des Grossverteilerblattes blieben an den nassen Briefkästen kleben, das Einwerfen ging nicht halb so reibungslos wie bei trockenem Wetter. An einem andern Kasten der Vermerk «keine Werbung, bitch!». An Tagen wie diesem übersah sie den nie. Bei den Villen im Park mehrfach der gleiche Familien-, doch dazu nur Männervornamen. Wohin mit der Post für die Frauen? «Mir egal!» dachte die Briefträgerin zornig. An der Alpenstrasse wieder die Container im Weg, beim hässigen Helmausziehen flog ihr Ohrring auf Nimmerwiedersehen davon. Und dann am Bachweg noch ein selten rechthaberischer Mensch. Im Stollen war der Schimpfkollege noch oder wieder am Schimpfen. Sie suchte ihr Notizbuch und zweifelte an ihrem Verstand, bis ihr einfiel: Es konnte nur im Sack mit den Kastenleerungen für die Sortierung in Härkingen sein! Dort fand sie es, unter Bergen von versandbereiten Briefen.
Es war ein blöder Morgen. Es ist trotzdem ein schöner Beruf.