Die Büezer schlagen Alarm: Auf den Baustellen werden die Covid-Massnahmen nicht eingehalten. Kontrollen sind viel zu selten.
GEFÄHRLICHE NÄHE: Auf dem Bau kommt es ständig zu engem Kontakt zwischen den Büezern. (Foto: Unia)
Es hätte eine ruhige Gewerkschafts-Sitzung werden sollen. Informationen über die vergangenen Lohnverhandlungen, ein Ausblick auf die kommende Zeit und die Verabschiedung eines langjährigen Mitstreiters. Corona? Ein Unterpunkt auf der Tagesordnung für die Unia-Baupräsidentenkonferenz vom 7. November. Doch es kommt anders. Die Baupräsidenten legen einen neuen Schwerpunkt. Sie, die Arbeiter, die das Vertrauen ihrer Kollegen geniessen und ihre jeweilige Region innerhalb der Unia repräsentieren. Einer von ihnen erklärt: «Die Situation auf unseren Baustellen ist schlecht.
Sicherheitsmassnahmen werden nicht eingehalten, und sie werden auch nicht überprüft.» Corona! Nun ist es das Hauptthema. Am Ende der Beratung sind sich alle einig: Es braucht mehr Kontrollen auf dem Bau – und die Unia soll darauf pochen.
«Bei unserem Toitoi gibt es weder
Desinfektionsmittel noch Wasser.»
MASKEN JA, ABER …
work will es genauer wissen. Ein Anruf in Zürich bei Baupräsident Javier B.* Er sagt: «Masken haben wir bekommen, doch bei unserem Toitoi gibt es weder Wasser noch Desinfektionsmittel.» Und das, obwohl er und seine sechs Kollegen derzeit ein Spital umbauen. Gefährlich ist auch, dass es für die ganze Equipe nur eine Baracke gibt. 6 mal 2,5 Meter für sieben Personen. Die Pausen seien versetzt worden, so dass stets nur die halbe Gruppe gleichzeitig das Znüni nimmt, so Javier B. Doch beim Kleiderwechsel am Abend und am Morgen kommen alle zusammen. Denn die Arbeitszeiten wollte die Firma nicht anpassen. «Nur der Bauführer hat eine Baracke für sich allein.»
Antonio Ruberto kennt etliche solcher Missstände. Zwar geniesst der Berner Baupräsident bereits seine Frühpensionierung. Doch nach 38 Jahren im Hochbau ist er für viele seiner Kollegen noch immer der Anlaufpunkt, wenn es um Probleme am Arbeitsplatz geht. «Viele machen sich Sorgen, denn sie sehen, dass die Massnahmen auf dem Bau nicht genügend umgesetzt werden», sagt Ruberto zu work. Ob auf den Gerüsten oder beim Betonieren: auf dem Bau komme es eben ständig zu engem Kontakt zwischen den Büezern.
KAUM KONTROLLEN
In den vielen Rückmeldungen, die Ruberto erhalten hat, zeichnet sich zudem ein Trend ab: Auf grösseren Baustellen mit vielen Arbeiterinnen und Arbeitern wird von den Firmen oft besser auf die Gesundheit geachtet als bei kleineren Projekten. Eine Einschätzung, die auch Abbas S.* teilt. Er ist Baupräsident des Berner Oberlands. Nur: Kontrolliert werden diese Baustellen viel zu selten. «Ich habe das ganze Jahr noch keine Suva-Kontrolle erlebt», so Abbas. Nur einmal habe der firmeneigene Sicherheitsbeauftragte vorbeigeschaut – mit Voranmeldung.
UNIA HAT IDEE
Offiziell hat der Unfallversicherer, der neben den Kantonen mit den Covid-Kontrollen beauftragt ist, zwischen Juli und September 3973 Baustellen überprüft. Eine hohe Zahl. Scheinbar. Tatsächlich widmen sich längst nicht alle Besuche der Einhaltung der Corona-Massnahmen. Und gemessen an der Menge an Baustellen – allein im «kleinen» Berner Oberland sind es mehr als 200 – schrumpft die Überprüfungsdichte zusammen. Kommt hinzu, dass die Kantone ihren Verpflichtungen kaum nachkommen. Und so resümierte kürzlich der «Kassensturz» von SRF: «Es wird zu wenig kontrolliert.»
Zwei Tage nach der Baupräsidentenkonferenz nimmt die Unia – nicht zum ersten Mal – öffentlich Stellung. «Grobe Missstände und kaum Kontrollen auf Baustellen», prangert sie an. Aber die Gewerkschaft macht auch ein Angebot: Die paritätischen Kommissionen, normalerweise mit der Überwachung der Arbeitsbedingungen beauftragt, könnten beim Covid-Schutz helfen. Mit Kontrollen kennen die sich schliesslich aus.
* Namen geändert