Niemand Geringeres als die Organisation für wirtschaftliche Entwicklung und Zusammenarbeit (OECD) macht sich für gute Gesamtarbeitsverträge stark. Besonders in der neuen digitalen Arbeitswelt.
LASST TAUSEND GAV BLÜHN! Protest-Hüte des Druckzentrums Bern, Juli 2018. (Foto: Keystone)
Es ist eine kleine Sensation, was die neue OECD-Studie zeigt: Löhne, Beschäftigung und Produktivität fallen dort am besten aus, wo es branchenweite Rahmenregelungen gibt. Und wo die Details der Vertragsverhandlungen in den Firmen erfolgen. Nicht, dass das Gewerkschafterinnen und Gewerkschafter nicht schon längst wüssten, aber die bürgerlichen Ökonomen verkennen das oft.
Die Studie betont auch, dass Gesamtarbeitsverträge (GAV) einen positiven Einfluss auf die Jobqualität, auf die Sicherheit am Arbeitsplatz, auf Gesundheit und Weiterbildung hätten. Und damit auch auf die Chancen, im Falle von Entlassung, einen neuen Job zu finden.
GAV sind gut für Beschäftigung,
Löhne und Produktivität.
ÜBERALL GAV FÖRDERN
Im Gegensatz zum rechten ökonomischen Mainstream bricht die OECD-Studie eine Lanze für die Gesamtarbeitsverträge und ihre Bedeutung für eine funktionierende Wirtschaft. Ja sie stimmt geradezu einen Lobgesang an. Ein weiteres Zeichen dafür, dass die Wirtschaftslehre langsam umdenkt und von der neoliberalen Mottenkiste wegkommt. Richtigerweise sagt die Studie auch, dass sich die GAV-Systeme angesichts der neu-en Arbeitswelt mit Ich-AGs, Scheinselbständigen und individualisierten Clickworkerinnen und Clickworkern weiterentwickeln müssten. Sie postuliert sogar, dass die Staaten Hemmnisse abbauen und die Verbreitung von Gesamtarbeitsverträgen erleichtern müssten. Frei übersetzt: Wir sollten überall die GAV fördern! Das ist auch dringend notwendig, denn die Zahl der Arbeitnehmenden, die einem GAV unterstehen, gehen in den OECD-Mitgliedländern deutlich zurück. Und zwar von 46 Prozent (1985) auf noch 32 Prozent (2018). Die Studie liefert dazu erstmals Zahlen.
Am stärksten war der Abfall in Mittel- und Osteuropa, dies wegen der Deregulierungen der neoliberalen Regierungen. Relativ stabil blieb die GAV-Abdeckung dagegen in Westeuropa, mit Ausnahme von Deutschland. Dort nahm sie seit der Wiedervereinigung ab, vor allem nach dem Angriff auf die Arbeitnehmendenrechte von Ex-SPD-Kanzler Gerhard Schröder. Die verheerende Folge war ein grosser Tieflohnsektor mit vielen prekär Beschäftigten. Dagegen hielten sich die Gesamtarbeitsverträge überall dort gut, wo eine traditionelle Verhandlungskultur der Sozialpartner existiert. In der Schweiz sind die GAV seit der Jahrtausendwende dank erstarkten Gewerkschaften sogar wieder im Aufwind. Im Jahr 2018 gab es hier 581 Kollektivverträge mit insgesamt 2,1 Millionen unterstellten Arbeitnehmenden.
WENIGER MITGLIEDER
Weniger Mitglieder Dass die Kollektivverträge schwinden, hat auch mit dem gewerkschaftlichen Organisationsgrad zu tun, der in vielen Ländern zurückgeht. Die Zahl der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, die Mitglied einer Gewerkschaft sind, sank im OECD-Raum in den letzten vierzig Jahren im Schnitt von 33 auf noch 16 Prozent. Also auf etwa die Hälfte. In einzelnen Ländern konnte die Gewerkschaftsbewegung aber dennoch zulegen: so in Belgien oder Island. Relativ stabil blieben die Gewerkschaften in Kanada, Korea und Norwegen. In den OECD-Ländern waren 2018 insgesamt 82 Millionen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer Mitglied in einer Gewerkschaft, und 160 Millionen profitieren von einem Gesamtarbeitsvertrag – sei es in einer Firma, in einer ganzen Branche – oder von einem landesweit geltenden Vertrag.
Weltweites ForumDie OECD
Die Organisation für wirtschaftliche Entwicklung und Zusammenarbeit (OECD) umfasst derzeit 37 Staaten aus allen Kontinenten. Auch die Schweiz ist dabei. Die Organisation mit Sitz in Paris ist ein Kind der Nachkriegsordnung. Ursprünglich hatte sie zum Zweck, den Wiederaufbau Europas zu unterstützen. Und zwar mit Demokratie und Marktwirtschaft. Seit 1961 dient sie Ländern aus der ganzen Welt als Forum, unter anderem für wirtschaftspolitische Fragen. Zu diesem Zweck erstellt sie Studien und Berichte.