Zimmermann Eduart Braka: «Jeder Tag ist eine Überraschung»

Eduart Braka (45) wohnt im Piemont, arbeitet als Zimmermann im Wallis und hält Sprechstunden für Grenzgänger in Domodossola. Zwei Mal im Monat hilft er ihnen beim Ausfüllen des Papierkrams.

VOM PIEMONT INS WALLIS. Eduart Braka (45) zimmert Häuser und baut Grenzgänger auf. (Fotos: Marco Zanoni)

Bahnhof Brig an einem launischen Herbstnachmittag. Auf dem Vorplatz, wo sich sonst Wanderer und Touristen tummeln, herrscht gähnende Leere. Corona hat die Menschen weggefegt. Auch auf der Terrasse des Restaurants Viktoria sitzen nur wenige Leute. Eduart Braka ist einer von ihnen. Er bestellt sich ein Mineral. Der Zimmermann kommt direkt von der Arbeit. In Überhosen sitzt er da, Kappe auf dem Kopf. Seine wachen braunen Augen beobachten die Umgebung. Er kennt den Bahnhof Brig fast so gut wie seine eigene Werkzeugkiste. Seit fast acht Jahren pendelt er von Domodossola ins Wallis. 30 Minuten dauert die Fahrt über die Grenze in notorisch überfüllten Zügen. Oft steht er genauso lange am Gleis und wartet, weil er den Zug um einige Minuten verpasst hat. «Das Pendlerleben ist kompliziert. Es braucht viel Zeit», sagt er und zückt sein Handy. Er zeigt ein Bild von einem überfüllten Zug. Alle mit Masken zwar. Aber eng aneinander. «Abstand halten geht da nicht.» Doch was will man machen? «Arbeit ist Arbeit!»

LANDFLUCHT. Die fehlende Arbeit trieb ihn 1997 aus seiner Heimat Albanien. Damals steckte das Land tief in der Krise. Der Weg aus den Trümmern Jugoslawiens war steinig. Unruhen gehörten zur Tagesordnung. Vetternwirtschaft auch. Die Wirtschaft lag am Boden. Chaos, wo man auch hinschaute. Eduart Braka, damals ein junger Mann, verlor zuerst seinen Job. Kurz darauf seine Wohnung. Und zuletzt die Hoffnung auf eine Zukunft. Der gelernte Mechaniker zog nach Italien. Genauer: Domodossola. Er fand rasch Arbeit in einer der Dutzenden Kupferfabriken. Die Freude währte aber nicht sehr lange. Eine Fabrik nach der anderen wanderte in den Osten ab und schloss die Tore. So stand der Familienvater bald wieder ohne Arbeit da. Er heuerte bei einem Temporärbüro in Brig an, baute zuerst Gerüste auf. Dann ganze Häuser. In der kleinen Zimmerei Kämpfen Klaus in Gamsen fand er schliesslich eine Festanstellung. Dort blieb er. Bis heute.

BRAKA AUF DEM DACH: Zimmermann Eduart Braka renoviert ein Dach
in Leuk VS.

SPRACHTÜCKEN. «Wir sind ein kleines Team. Ganz international», sagt Eduart Braka. Ostdeutsche, Mazedonier, Italiener und seit neustem ein Kurde hämmern gemeinsam. Der Teamgeist stimmt. Man hilft sich – vor allem mit den Tücken der Sprache. «Letzthin sagte ein Walliser auf der Baustelle: ‹Gibsch mr z Hebiise!› Da verstanden alle nur Bahnhof», erzählt der 45jährige lachend. Der Walliser klärte sie schliesslich auf: Hebiise ist auf deutsch Geissfuss oder Hebeleisen. Eduart Braka selbst spricht nebst der Muttersprache Albanisch fliessend Italienisch, etwas Russisch und Griechisch, was er in der Schule und während eines Arbeitsjahres in Athen gelernt hat. Auch Schweizerdeutsch hat er einiges aufgeschnappt. «Ich kann mich verständigen. Aber mir fehlt es an Übung. Auf den Baustellen sprechen wir fast nie Deutsch.»

Statt Dialekt hat Eduart Braka dafür das Handwerk gelernt. Angefangen als Aushilfe, ist er mittlerweile ein wahrer Zimmermann-Profi. «Genau hingucken, gut hinhören und nachmachen», ist sein Credo. Mittlerweile verdient er mit 29 Franken in der Stunde fast gleich viel wie eine gelernte Arbeitskraft. Doch das Geld ist nicht sein Antrieb. Ihm gefällt die Arbeit draussen. An der frischen Luft. Mit der Abwechslung. «Kein Tag ist wie der andere!» Am Montag sind sie bei einem Neubauprojekt in Brig und ziehen eine Fassade hoch. Am Dienstag renovieren sie irgendwo in den Bergen eine alte Vecchia oder bauen einen Dachstock aus. Und am Ende der ­Woche bleiben sie in der Werkstatt. «Ich weiss am Morgen nicht, wo ich arbeiten werde. Jeder Tag ist eine Überraschung!» In den letzten Monaten ist es aber auch bei ihm im Betrieb ruhiger zu und her gegangen. Corona hat die Auftragslage getrübt. Die Leute investieren nur zurückhaltend. «Es ist weniger dalli, dalli, mehr piano.»

SPRECHSTUNDEN. Dadurch bleibt Eduart Braka mehr Zeit, sich um die Probleme der Grenzgängerinnen und Grenzgänger zu kümmern. Jeden zweiten Samstag hält er in ­einem kleinen Büro in Domodossola ­ehrenamtliche Sprechstunde. Er kontrolliert Lohnblätter, schaut wegen der Kinderzulagen. Und rechnet die Quellensteuer aus. Ein Kollege aus der Gewerkschaft hat ihm das Wichtigste beigebracht. «Ich bin schon lange gewerkschaftlich aktiv.» Zu seinen ­Fabrikzeiten war er bei der italienischen Gewerkschaft UILM. Dort wurde er Vertrauensmann: Half den Fabrikarbeitern, ­organisierte Versammlungen. Dies ­alles freiwillig und ohne Entschädigung. Mit ­einer grossen Portion Enthusiasmus: «Nur zusammen sind wir stark!» ist er ­überzeugt.

Deshalb trat er, kaum arbeitete er in der Schweiz, auch der Unia bei. Er gibt sein Wissen gerne weiter. Und die Leute schätzen die Hilfe. Wenn er am Morgen in Domodossola in den Zug steigt, wird er von allen Seiten begrüsst. Viele von ihnen wären ohne Unterstützung aufgeschmissen. «Pendeln über eine Landesgrenze bringt viel zu viel Papier!» sagt er lachend und schaut auf die Uhr. Mist! 16.45. Der Zug nach Domodossola ist vor einer Minute abgefahren. Wieder einmal heisst es: Warten. Eduart Braka nimmt’s mit einem gelassenen Schulterzucken.


Eduart Braka Mehr Meer sehen

Eduart Braka liebt das Meer. Das Rauschen, die Farbe, der Geschmack nach Salz, Freiheit und ­Seetang. «Ich bin in einem kleinen Dorf in Südalbanien am Meer geboren und auf­gewachsen. Das hat mich geprägt.» Bereits als kleines Kind spielte er lieber mit den Wellen als mit Bauklötzen. Das ist bis heute geblieben. Mit seiner Frau und seinen zwei Töchtern reist er wann immer möglich an den Strand.

WÄRME. Besonders über die Winter­monate, wenn auf dem Bau Flaute herrscht, sucht er die wärmeren Gefilde. In diesem Jahr war er bereits in Spanien, Lanzarote und Sardinien. Auch im nächsten Jahr hofft er auf eine Auszeit am Wasser. Planen kann er in diesen turbulenten Zeiten aber nicht. Eduart Braka: «Wir nehmen es, wie’s kommt!»

Eduart Braka ist Unia-Mitglied und verdient 29 Franken pro Stunde. Dies entspricht 5153 Franken brutto.

1 Kommentare

  1. xi 7. November 2020 um 16:09 Uhr

    Sry, Albanien war kein Teil Jugoslawiens.

    –> LANDFLUCHT. Die fehlende Arbeit trieb ihn 1997 aus seiner Heimat Albanien. Damals steckte das Land tief in der Krise. Der Weg aus den Trümmern Jugoslawiens war steinig. Unruhen gehörten zur Tagesordnung.

Schreibe einen Kommentar

Bitte fülle alle mit * gekennzeichneten Felder aus.