Jean Ziegler
Die erlösende Nachricht kam am Samstag, dem 7. November, gegen 16 Uhr: Der US-Nachrichtensender CNN verkündete, dass Joseph Biden zum 46. Präsidenten der USA gewählt worden sei.
Einige Minuten später wurde Tedros Adhanom Ghebreyesus, der Generaldirektor der Weltgesundheitsorganisation (WHO), zugeschaltet. Sein Gesicht strahlte vor Freude. Sein diplomatisch korrekter Kommentar: «Ich freue mich ausserordentlich, mit Präsident Biden zusammenzuarbeiten.»
Der gewählte Präsident Joseph Biden verspricht, Trumps imperialistischen Irrlauf zu beenden.
LISTE DER RÜCKZÜGE. Noch-US-Präsident Donald Trump hatte im letzten Juli, mitten in der Corona-Pandemie, die Tür der WHO zugeknallt. Bis dahin waren die USA der wichtigste Beitragszahler. Jetzt lautete der skurrile Vorwurf des Präsidenten: Das Virus sei in China als Waffe gegen den Westen fabriziert worden. Die WHO sei von China unterwandert, und Generaldirektor Ghebreyesus sei ein chinesischer Agent.
Die Kontinente übergreifende Erleichterung aller Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Uno war spürbar. Insbesondere im Genfer Völkerbundpalast, dem europäischen Sitz der Weltorganisation. Eric Tistounet, der Sekretär des Menschenrechtsrates, sagte mir am Telefon: «Wir sind gerettet.» Washington hatte sich bereits 2018 aus dem Rat zurückgezogen.
Trump hatte der multilateralen Diplomatie den Krieg erklärt. Er hat den 2015 von 192 Staaten geschlossenen Klimapakt von Paris gekündigt. Er hat den globalen Migrationspakt bekämpft und den Nuklearvertrag mit Iran annulliert.
Uno-Sida ist die effiziente Spezialorganisation, die sich um die Millionen Aidskranker kümmert. Trump hat sie verlassen und ihr alle Subventionen gestrichen. Das gleiche tat er im Nahen Osten: Er verliess die Hilfsorganisation für palästinensische Flüchtlinge (UNRWA) und strich ihr die Beiträge. Er kündigte die Mitgliedschaft bei der Organisation für Erziehung, Wissenschaft und Kultur (Unesco). Und er blockierte das Auswahlverfahren für einen neuen Direktor der Welthandelsorganisation (WTO).Viele meiner Kolleginnen und Kollegen bei der Uno sind davon überzeugt, dass Trump die feste Absicht hatte, die Weltorganisation selbst zu zerstören.
ERRUNGENSCHAFT DER ZIVILISATION. Tatsache ist, dass die USA 26 Prozent des regulären Uno-Budgets und 80 Prozent des Spezialbudgets für Blauhelm-Einsätze bezahlen. Ohne die Beiträge aus Washington wäre die Uno am Ende. Der drohende Austritt hing deshalb wie ein Damoklesschwert vier Jahre lang über dem Kopf von Uno-Generalsekretär António Guterres.
Die multilaterale Diplomatie und das friedliche Einvernehmen zwischen den Staaten sind eine Errungenschaft der Zivilisation. Biden verspricht, Trumps imperialistischen Irrlauf zu beenden.
Der ehemalige Uno-Generalsekretär Kofi Annan mahnte oftmals: «Die Uno, das ist jeder von uns.» Wenn die Wiederauferstehung des Multilateralismus, die kollektive Sicherheit, der gemeinsame Kampf gegen Hunger und extreme Armut gelingen sollen, sind die Mobilisierung und der energische Einsatz von jedem von uns gefordert.
Jean Ziegler ist Soziologe, Vizepräsident des beratenden Ausschusses des Uno-Menschenrechtsrates und Autor. Sein neustes Buch ist: Die Schande Europas. Von Flüchtlingen und Menschenrechten.