Mit dem Black Friday begann der Päckli-Weihnachts-Horror für die Kuriere:
«Ich habe über 11 Stunden durchgearbeitet»

4000 Franken brutto, keine Pausen und Überstunden, die nicht bezahlt werden: Päckli-Kurier Timur Sahin* (26) arbeitet für ein grosses privates Zusteller-Unternehmen – und erzählt aus seinem Alltag:

DICKE POST: Noch mehr Päckli, noch mehr unbezahlte Überstunden. Päcklikuriere ächzen unter der Vorweihnachtszeit. (Foto: Keystone)

«Heute habe ich um halb sechs angefangen. Manchmal muss ich schon um fünf Uhr im Depot sein und die Pakete in meinen Liefer­wagen laden. Dann arbeite ich, bis alle Pakete verteilt sind, 80 bis 120 Stops jeden Tag. Meist brauche ich dafür etwa 11 Stunden. Mittagspause mache ich keine.

DIE HÖLLE. Ich arbeite für einen grossen privaten Kurierdienst. Meinen Namen dürft ihr nicht schreiben, sonst wäre ich den Job gleich los. In meinem Vertrag steht 44 Stunden Arbeitszeit pro Woche, das wären bei einer Fünftagewoche knapp 9 Stunden pro Tag. Aber das interessiert hier niemanden. Meine Überstunden werden nicht regis­triert, geschweige denn bezahlt. Und dem Chef ist es egal, ob ich meine Tour um 16 Uhr fertig habe oder erst spät in der Nacht. Hauptsache, ich bin am nächsten Morgen pünktlich wieder da.

Der Dienstag ist immer der Horrortag bei uns. Die Leute bestellen am Freitag und übers Wochenende online, am Montag bringt’s der Lastwagen zu uns ins Depot, am Dienstag müssen wir die Ware ausliefern. Letzten Freitag war Black Friday, drum war diesen Dienstag erst recht die Hölle los: 175 Stops, dazu kam noch der Schnee, ich hab 11,5 Stunden durchgearbeitet. Ob sie jetzt für die Vorweihnachtszeit mehr Leute einstellen? Natürlich nicht, das würde ja Geld kosten.

«Kürzlich ­wurde ein Paket geklaut. Das haben sie mir vom Lohn ab­gezogen.»

4000 Franken brutto ist mein Monatslohn. Dazu kommen noch Spesen fürs Essen, manchmal 300 Franken, manchmal weniger. Und wenn etwas passiert, gibt’s einen Abzug. Kürzlich wurde ein Paket geklaut, das ich beim Empfänger vor die Tür gestellt hatte. Das war 120 Franken wert, das haben sie mir vom Lohn abgezogen. Eigentlich müssen wir jedes Paket mit Unterschrift quittieren lassen, aber das schafft man zeitlich niemals. Seit Corona weigern sich auch viele zu unterschreiben, weil sie Angst vor einer Ansteckung haben.

ANGST VOR TEST. Sorry, dass ich grad etwas ausser Atem bin. Jetzt habe ich drei Pakete hintereinander ausgeliefert, jedes 30 Kilo schwer. Da steht drauf, sie müssten von zwei Personen getragen werden. Aber auch das interessiert die Firma nicht. Im Sommer war ich krank geschrieben wegen einer Zerrung am Rücken, die ganze rechte Seite war blockiert. Nach einer Woche schrieb mir der Chef: Wir brauchen dich! Und als ich zurückkam, sagte er mir: Solltest du noch einmal aus­fallen, wird dir gekündigt. Ich bin noch nicht lange in der Schweiz. Dass es hier solche Verhältnisse gibt, hätte ich nie gedacht.

Der Onlinehandel macht dank Corona ein Riesengeschäft. Aber wir, die die Pakete austragen, sind schlecht geschützt. Zwar bekommen wir Masken von der Firma, aber Desinfektionsmittel gibt’s nicht. Das wäre Luxus. Ich denke, dass mindestens einer von unserem Depot schon Corona hatte. Aber es traut sich niemand, den Test zu machen – aus Angst, den Job zu verlieren.»

Aufgezeichnet von Christian Egg


Onlinehandel  Päckliflut führt zu Staus

Neben den schlechten Arbeitsbedingungen hat der Boom der Onlinebestellungen eine weitere Schattenseite: Die Kurierdienste verstopfen die Stras­sen. Schon heute seien sie in Städten für 30 Prozent des Verkehrs verantwortlich – und sogar für 87 Prozent der Staus. Das sagte Maike Scherrer, ­Professorin für nachhaltige Mobilität, kürzlich im «Echo der Zeit» von Radio SRF.

DEPOTS. Abhilfe schaffen könnten dezentrale Depots, etwa in einem ­Quartierladen.
Die Pakete würden per ­Lastwagen dorthin geliefert. Und die Kundinnen und ­Kunden holen ihr Paket von dort ­selber ab – zu Fuss oder mit einem ­Lastenvelo, so Scherrer. Das würde erst noch ­Läden helfen, die wegen des Onlinebooms an Umsatz verloren hätten.

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