Mit dieser Botschaft geht die Berner Gastroszene auf die Strasse. Ihre Forderung: lieber die Beizen ganz schliessen und dafür fair entschädigen.
WIR HABEN GENUG! Beizerinnen und Servicemitarbeitende mögen nicht länger die Suppe auslöffeln, die Behörden und Verbände ihnen eingebrockt haben. (Foto: Matthias Luggen)
Es ist laut auf dem Bundesplatz in Bern. Sehr laut. Mit Töpfen, Deckeln, Trommeln und Sirenen machen mehrere Hundert Menschen auf sich aufmerksam. Sie kommen aus der Gastrobranche. Und sie machen deutlich: So geht es nicht mehr weiter!
Tags zuvor hat der Bundesrat beschlossen, dass die Restaurants um 19 Uhr schliessen müssen. Damit können die meisten Betriebe nicht mehr überleben.
Der Berner Gastrounternehmer Diego Dahinden ist einer von ihnen. Er sagt: «Schon in normalen Zeiten leben die meisten Beizen vom Geschäft am Abend. Jetzt sogar noch stärker, weil das Mittagsgeschäft wegen des Homeoffice eingebrochen ist. Wenn jetzt der Abend auch wegfällt, sagen sich viele: Das lohnt sich nicht mehr.» Dahinden hat drum beschlossen, sein Ausgehlokal «Kapitel», dessen Mitbesitzer er ist, zu schliessen.
«Wenn das Geschäft am Abend auch noch wegfällt, lohnt es sich nicht mehr.»
PLATZER PATZT
Für viele Restaurants und Beizen in der Schweiz geht die Corona-Rechnung schon längst nicht mehr auf. Das verdanken sie auch dem Arbeitgeberverband Gastrosuisse und seinem Chef, dem Berner Oberländer Hotelier Casimir Platzer. Im Frühling, noch war die erste Coronawelle nicht vorbei, setzte er mit seinem Verband den Bundesrat so lange unter Druck, bis die Gastrobranche früher als geplant öffnen konnte. Das Problem: Die vorschnelle Öffnung so vieler Restaurants und Bars war für viele Betreiberinnen und Betreiber ein Bumerang. Denn die Leute blieben fern, aber die Fixkosten fürs Lokal, für Köche und Servicemitarbeitende waren dennoch da. Und erdrückend. Trotzdem weibelte Platzer auch in der zweiten Welle dafür, dass die Gastrobetriebe offen bleiben durften. Und gegen strengere Corona-Massnahmen. Ein Fehler, wie selbst Platzers Hotelier-Kollege Andreas Züllig, der «Sonntagszeitung» gestand. Der Chef von Hotelleriesuisse sagt: «Ich gebe im nachhinein zu, wir haben die Lage falsch beurteilt. Es hätte früher Massnahmen gebraucht». Immerhin scheint Platzer die Not in seiner Branche nun doch noch zu begreifen: Er und seine Gastrosuisse fordern jetzt ebenfalls «sofortige finanzielle Entschädigungen» für die Betriebe.
STREIKEN MIT DEN PATRONS
Die Stimmung am Protestmarsch in Bern ist wie das Wetter: grimmig. Eine Gastrofrau hält ihr Kartonschild in die Höhe, darauf steht: «Meine Boni 2020: 5.50 Franken Trinkgeld!» Eine andere Teilnehmerin fragt mit ihrem Schild: «Nicht mal bis acht – wo bleibt dann mein Znacht?» Und auf dem Bahnhofplatz zerschlagen sie Teller und Tassen, um zu zeigen, was für einen Scherbenhaufen die Kantone und der Bundesrat mit ihrer Corona-Politik anrichten. Rund 140 Berner Lokale haben den Demo-Aufruf unterzeichnet. Hinter der Aktion steht das Kollektiv «Gastrostreik», bestehend aus Arbeitnehmenden sowie fortschrittlichen Beizerinnen und Beizern. Ihre Botschaft ist klar: Alle in der Branche sitzen im gleichen Boot. Und das droht gerade unterzugehen. Sie fordern deshalb: besser alle Beizen ganz schliessen und sie dafür fair für die Verluste entschädigen (siehe Box unten).
Mit im Demo-Zug ist auch eine Gruppe der Unia Bern, darunter Tertiärchefin Muriel Zürcher. Sie sagt: «Ich hätte mir nie träumen lassen, dass ich einmal zusammen mit Arbeitgebern streiken würde. Aber besondere Situationen erfordern besondere Kampfmassnahmen.»
Alex ist Barmann. Und auch an der Demo. Das heisst: Barmann, das war er mal. Derzeit ist er in Kurzarbeit. Denn das Nachtlokal, in dem er arbeitete, schloss schon im Oktober. «Das ist auch richtig so», betont Alex. «Wir müssen dieses Virus in den Griff bekommen. Aber wir müssen auch überleben können.»
DEUTSCHLAND MACHT’S VOR
So wie die Betriebe in Deutschland: Dort sind die Restaurants seit Anfang November geschlossen. Erhalten aber vom Bund 75 Prozent ihres Umsatzes vergütet. Gastrounternehmer Dahinden fragt: «Weshalb sollte so etwas in der reichen Schweiz nicht möglich sein?» Gute Frage an den nationalen Kässeli-Wart Ueli Maurer. Ungerührt behauptet der, mehr Corona-Geld könne sich die Schweiz nicht mehr leisten. Dabei hat die Nationalbank nur schon in den ersten drei Quartalen dieses Jahres 15 Milliarden Franken Gewinn gemacht. Geld, das uns allen gehört.
Gastrostreik: Die Forderungen
- Restaurants schliessen und fair entschädigen.
- Die Aufstockung der Kurzarbeitsentschädigung von 80 auf 100 Prozent für Löhne unter 4000 Franken. Denn im Gastgewerbe als «Tieflohn- und Teilzeitbranche» reichen 80 Prozent nicht, um zu überleben. Schon gar nicht, wenn die Trinkgelder wegfallen.
- Endlich eine Mieterlass-Regelung für Geschäftsbesitzerinnen und -besitzer, die wegen Corona unter Druck sind. Seit März harrt das dringende Problem einer Lösung. National- und Ständerat bastelten monatelang an einem entsprechenden Gesetz, schickten es aber kürzlich bachab (siehe Spalte «Vermieterlobby schlägt zu»).
Ich bin voll damit einverstanden. Die Leute brauchen eben ihr Einkommen. Wir alle wollen arbeiten und Geld verdienen. Diese Forderungen finde ich logisch, klar, rechtzeitig eingetroffen und nachahmenswert!