David Gallusser ist Ökonom beim Schweizerischen Gewerkschaftsbund (SGB)
Der US-Bundesstaat Wisconsin zeigt, wie wichtig kollektive Löhne für die Lohngleichheit zwischen Frauen und Männern sind. Die republikanische Mehrheit im Parlament beschnitt dort 2011 die Gewerkschaftsrechte im öffentlichen Dienst. Seither können Gewerkschaften in Gesamtarbeitsverträgen (GAV) nur noch über Basisgehälter verhandeln. Zugleich wurde dem Staat erlaubt, Löhne individuell festzusetzen. Damit verschwanden Lohnsysteme, wie wir sie auch bei der öffentlichen Hand in der Schweiz kennen. Lohnsysteme, die Arbeitnehmende aufgrund ihrer Arbeitserfahrung (Lohnstufen) beziehungsweise Ausbildung und Funktion
(Lohnklassen) unterscheiden.
(Quelle: Barbara Biasi & Heather Sarsons (2020), Flexible Wages, Bargaining, and the Gender Gap. http://www.nber.org/papers/w27894)
MEHR UNGLEICHHEIT. Der Angriff auf die Gewerkschaften führte zu ungleicheren Löhnen. Eine neue Studie zeigt für die öffentlichen Schulen in Wisconsin, dass die Löhne der Lehrerinnen sanken und jene der Lehrer stiegen, nachdem die GAV mit festen Lohnsystemen ausgelaufen waren, die vor 2011 abgeschlossen worden waren (siehe Grafik). Die Autorinnen der Studie stellen auch fest, dass nun besonders junge Lehrerinnen zu tieferen Löhnen eingestellt werden. Aber auch bei älteren Lehrerinnen wachsen die Unterschiede, weil ihre Lohnerhöhungen geringer ausfallen. Insgesamt könnte wegen der Reform den Lehrerinnen in einem Berufsleben von 35 Jahren ein ganzes Jahresgehalt vorenthalten werden. Das ist viel, wenn man bedenkt, dass es vor 2011 kaum Unterschiede gab.
KOLLEKTIV STATT INDIVIDUELL. Die Studie räumt auch mit dem vielbemühten Argument auf, dass Frauen weniger verdienten, weil sie schlechter verhandeln würden. Die Autorinnen können vielmehr nachweisen, dass das Gegenüber entscheidend ist. Zu Lohnunterschieden kam es nämlich nur in Schulen mit männlichen Chefs. Unter weiblicher Führung verhandeln Lehrerinnen nicht nur gleich häufig, sondern auch gleich gut wie Lehrer. Das stützt die These, dass Frauen in einem männlich geprägten Umfeld bei Verhandlungen diskriminiert werden. Forderungen, Frauen für mehr Lohngleichheit stärker zu individuellen Verhandlungen zu motivieren, könnten deshalb kontraproduktiv sein. Die Studie legt im Gegenteil nahe, auf kollektive Löhne zu setzen, statt den Chefs Spielraum zum Diskriminieren zu geben.