Bundesrätin Simonetta Sommaruga will bis 2050 eine fast klimaneutrale Schweiz. Die Klimabewegung und andere wollen den Durchbruch bis 2030 schaffen. In welcher Logik werden wir dieses Ziel wann und wie erreichen? Müssen wir den Konsum senken, um in den Klimawandel zu investieren? Oder wird die technische Entwicklung alle Erwartungen übertreffen? Eine Auslegeordnung.
PFERDE VS. PFERDESTÄRKEN. PFERDE: Links eine Aufnahme der 5th Avenue in New York im Jahr 1900. Noch sind alle mit Pferdekutschen unterwegs. Rechts: die gleiche Strasse nur 13 Jahre später. «Game-Changer» Auto: Die Pferde landeten in den Schlachthöfen. (Fotos: Public Domain)
Wie schnell kann die Schweiz klimaneutral werden? Bisher hatten wir folgende Ausgangslage:
Der Kanton Wallis wollte und will sich bis ins Jahr 2060 Zeit lassen. Obwohl er dank der Wasserkraft und der Sonne die besten Voraussetzungen hätte, um schneller als alle anderen Regionen das Ziel Klimaneutralität zu erreichen. SP und Grüne waren bisher nicht viel schneller unterwegs. Sie peilten zusammen mit der zuständigen SP-Bundesrätin Simonetta Sommaruga 2050 an. Die Klimajugend dagegen und work hielten und halten das Jahr 2030 für realistisch.
Unter dem Druck der Klimajugend haben sich jetzt die Grünen etwas bewegt. Sie wollen die CO2-Emissionen in der Schweiz bis ins Jahr 2030 halbieren. Und auch die als graue Energie importierten Emissionen. Das wird nicht so anstrengend werden, wie das Beispiel der Autoindustrie zeigt.
Die Schweiz stellt nämlich keine Autos her. Aber in jedem Auto, das wir importieren, stecken rund 9 Tonnen graue Energie. Deutsche Autohersteller wie Volkswagen oder BMW wollen diese Werte bis 2030 mindestens halbieren. Sie verpflichten ihre Zulieferer, klimaneutral zu werden. Das heisst: sie erreichen das Ziel der Grünen, ohne dass die Schweiz auch nur einen müden Finger rühren muss.
Trotz aller Kritik: Die Grünen haben sich bewegt, und sie werden sich weiter bewegen müssen. Die Frage ist, in welcher Logik? Müssen wir sparen, müssen wir den Konsum senken, um in den Klimawandel investieren zu können? Noch ist das die vorherrschende Logik von Klimabewegung, Grünen und SP. Aber: wer ist «wir»?
Und: Vielleicht kommt ja alles ganz anders, als die Mehrheit der Freundinnen und Freunde der Umwelt sich dies heute vorstellen. Weil die technische Entwicklung alle Erwartungen übertrifft. Neudeutsch nennt man dies «Game-Changer», Spielumdreher (siehe Box).
Game-Changer Windenergie: Die EU will die installierte Leistung aller Windräder auf 300 Gigawatt erhöhen. Das entspricht der Leistung von 200 grossen Atomkraftwerken. Produziert wird vorab Winterenergie.
Game-Changer Sonnenenergie: Die Preise für Solarzellen, Montagesysteme und Wechselrichter befinden sich im freien Fall. Freilandanlagen werden nächstens auch in der Schweiz Strom für 4 Rappen pro Kilowattstunde produzieren.
Game-Changer Batterien: Mit Batterien kann man – kombiniert mit Solaranlagen – Tages- und Nachtausgleich schaffen. Batterien der neuesten Generation werden pro gespeicherte Kilowattstunde 70 Franken kosten. Und man kann sie 10 000 Mal laden und entladen. Bei diesen Kosten kann man Pumpspeicherwerke glatt vergessen.
Game-Changer Wasserstoff: Man kann – wie neuere Studien zeigen – in Spanien mit Solarenergie Strom produzieren. Diesen vor Ort in Wasserstoff umwandeln. Und mittels Pipeline ins Zentrum von Europa pumpen. Kosten pro Kilowattstunde absehbar nur 5 Rappen.
Game-Changer Brennstoffzellen: Stationäre Brennstoffzellen werden immer billiger und effizienter. Sie werden künftig auch als Kraft-Wärme-Kopplung und Notstromaggregate dienen. Der Industrietechnik-Firma Bosch sei Dank!
Vielleicht werden wir auf gar nichts verzichten müssen. Vielleicht zerstört das solar- und windgetriebene Kapital den fossilen Kapitalismus. Es lohnt sich, das «Kommunistische Manifest» zu lesen, um die Dynamik des Kapitalismus zu begreifen. Und zu bedenken, dass früher die Entwicklung eines Impfstoffes 10 Jahre dauerte. Und beim Corona-Vakzin nur 10 Monate.
Links zum Thema:
- rebrand.ly/spielaendern
Game-Changer ist für den digitalen Duden «etwas, das bisher geltende Regeln und Mechanismen grund-legend ändert».
- rebrand.ly/billigebatterien
Neue Batterien sollen nicht nur spottbillig werden, sondern auch eine Lebensdauer von mehr als 10’000 Zyklen aufweisen. Sie werden sich auch
für stationäre Anlagen rechnen.
- rebrand.ly/hydeal
«Hy Deal» nennt sich das Projekt, das mittelfristig 1 Kilo Wasserstoff für 1,50 Euro aus Spanien über Gasleitungen ins Ruhrgebiet liefern will. Entspräche lächer-lichen 5 Rappen pro Kilowattstunde.