Nationalbankchef Thomas Jordan sitzt auf einem Berg von fast einer Billion Franken – und rührt sich nicht. Vorgänger Philipp Hildebrand hätte da eine Idee.
Philipp Hildebrand bekommt wahrscheinlich fast jeden Weltenlenker sofort ans Handy. Doch Chef der mächtigen OECD, dem Club der reichen Industrieländer, darf er nicht werden. Dafür hätte der smarteste Schweizer Banker die Unterstützung der europäischen Regierungen gebraucht. Doch die zeigten der Schweiz die kalte Schulter. Logisch, nachdem FDP-Aussenminister Ignazio Cassis die Aushandlung eines besseren Rahmenabkommens mit der EU in den Sand gesetzt hat.
Ab Juni leitet nun der frühere australische Wirtschaftsminister Mathias Corman, ein prominenter Klimaleugner, die OECD. Hildebrand ist einmal mehr über die Schweiz gestolpert.
Hätte die Schweiz einen Staatsfonds, wäre öffentliche
Investitionspolitik plötzlich Thema.
HILDEBRANDS TABUBRUCH
Dabei hatte er sich mächtig ins Zeug gelegt, ist durch die Welt geflogen, hat 150 Gespräche mit Ministern und Einflussreichen geführt. Im Bundeshaus unterstützte ihn ein sechsköpfiges Kampagnenteam. Ein bisschen Weltruhm wäre schön gewesen. Um Geld ging es nicht. Seine ersten Millionen hatte Hildebrand als Hedge-Funds-Manager schon gemacht, bevor er 2003 zur Nationalbank (SNB) stiess. Und als ihn 2012 der Blocher-Clan und dessen Hausblatt «Weltwoche» aus der SNB ekelten, um Thomas Jordan einzusetzen, holte Blackrock-Gründer Laurence «Larry» Fink Hildebrand nach New York. Blackrock ist der weltgrösste Kapitalfonds und wiegt fast 9000 Milliarden US-Dollar (siehe Spalte rechts). Das macht Fink zu einem der mächtigsten Männer des globalen Kapitalismus – und Hildebrand ist seine rechte Hand. Da wäre ein bisschen Einfluss bei der OECD ganz rentabel gewesen, schliesslich kommt der italienische Premier Mario Draghi ja auch vom Bankenmoloch Goldman Sachs und von der Europäischen Zentralbank (EZB).
Thomas Jordan tut, was die Banken und die Herrliberger von ihm wünschen. 2015 kippte er den von Hildebrand eingerichteten Euro-Mindestkurs. Damit vernichtete Jordan Zehntausende von (Industrie-)Arbeitsplätzen in der Schweiz. Er wolle die Bilanz der SNB nicht aufblähen, sagte Jordan damals. Dumm nur: in fünf Jahren hat er sie verdoppelt.
Nun bekunden zuvorderst die SVP-Bundesräte Guy Parmelin und Ueli Maurer ihre Enttäuschung über das Scheitern der OECD-Kandidatur. Selber schuld! Sie bezahlen für das Anti-EU-und-Alleingang-Projekt des Blocher-Clans: die Verzwergung der Schweiz.
Maliziös richtete Hildebrand aus, die Schweiz habe in den letzten Jahren «massiv» an internationalem Einfluss verloren. Und schlug gleich auch noch die Lösung vor: Die riesigen Reserven der Nationalbank sollten in einen Staatsfonds geschüttet werden. Mit dem liesse sich bestens Finanzdiplomatie machen. Also Einfluss kaufen. Der asiatische Zwergstaat Singapur habe es vorgemacht, so Hildebrand. Und brach damit ein Tabu.
JORDANS HORROR
Linke und Gewerkschaften fordern zwar schon lange, dass die Nationalbank-Milliarden, die Volksvermögen sind, sinnvoll investiert werden sollten. Für die Finanzierung der AHV zum Beispiel oder jetzt, in der Coronakrise, für Investitionspakete. Schon vor mehr als 10 Jahren hatte die Unia einen ökologischen Produktionsfonds gefordert, garantiert durch die SNB. Doch die Rechten und SNB-Chef Jordan hatten bisher immer kategorisch abgewinkt aus ideologischen Gründen. Dabei sitzt SNB-Chef Jordan auf einem Kapitalberg von 991 Milliarden Franken, also fast einer Billion. Und während die Rechten im Bundeshaus neue Sparorgien aufsetzen, um Sozialversicherungen und Service public zusammenzustreichen, vermeldet die SNB 20,9 Milliarden Franken Jahresgewinn. Tief gerechnet! Wovon Jordan nur gerade 2 Milliarden dem Bund überlassen will (4 Milliarden den Kantonen). Und sogar dazu musste man ihn prügeln.
Finanzvertreter liefen sofort Sturm gegen Hildebrands Vorschlag. Ökonomisch blieben die Gegenargumente dürftig. Derzeit existieren weltweit, je nach Zählweise, zwischen 70 und 100 Staatsfonds. Allein China hat gleich mehrere eingerichtet. Sie dienen unterschiedlichen Zielen. Norwegen will mit seinem Fonds die Renten sichern, der Stadtstaat Singapur macht sich wichtig, Kuwait bereitet die Zeit nach dem Öl vor.
Ein Schweizer Staatsfonds könnte schnell notwendige Zukunftsprojekte anstossen. Etwa den ökologischen Umbau. Eine soziale Digitalisierung. Eine Ausbildungs- und Forschungsoffensive. Die Sicherung der Sozialwerke. Bessere Infrastrukturen …
Da wird sichtbar, warum Leute wie Jordan so erbittert gegen die Idee kämpfen. Der SNB-Chef hält sich gern bedeckt, nimmt oft die Farbe der Wände an. Das ist politische Strategie: Hätte die Schweiz einen solchen Fonds, würde man über den Ursprung der Gelder, ihren Einsatz und die Verteilung debattieren. Öffentliche Investitionspolitik wäre plötzlich ein Thema. Für die Neoliberalen, die Blochers, die Herren des Kapitals blanker Horror.
Finanzfonds-Kapitalismus Aladdin und der schwarze Fels
Finanzfonds-Kapitalismus Aladdin und der schwarze Fels Nichts entgeht Blackrock: Der Fonds ist eine Höllenmaschine, die alle Bewegungen der Weltwirtschaft registriert und analysiert.
SCHWIMM-MEISTER: Blackrock-Vize Philipp Hildebrand (vorne) ist auch Mitbesitzer der Blausee AG, Hotel und Speisung BE. Spezialität: im Teich vor dem Haus gezüchtete Forellen. Jetzt wollten die Besitzer den Zins für das Quellwasser (750 Franken/Jahr) nicht mehr bezahlen und erklärten das öffentliche Quellwasser kurzum zum Privatbesitz. (Foto: Stefan Bohrer)
Das Hirn des globalen Kapitalismus pulsiert in einem verlorenen US-Flecken, der am Ortseingang mit dem Schild prahlt, die «Welthauptstadt des Apfels» zu sein: Wenatchee, 25’000 Seelen, 1300 Kilometer nördlich von San Francisco gelegen. Apfelplantagen, so weit das Auge reicht, ein Staudamm, der billigen Strom liefert, und Aladdin, das Rechenzentrum des Finanzfonds Blackrock.
Rechenzentrum ist eine dürftige Bezeichnung für diese Höllenmaschine. Nichts entgeht ihr. Ihre Algorithmen analysieren pausenlos alle Bewegungen der Weltwirtschaft und jede Kleinigkeit: die mürrische Nebenbemerkung eines chinesischen Notenbankers, Unwetter über der Krim, Nöte bei einer Zürcher Pensionskasse oder das jüngste Impfgerücht auf Twitter. Daraus baut Aladdin Strategien für die Geldströme, Börsenbewegungen und Investitionen, die Blackrock oder andere Fonds lenken. Derzeit laufen 18 000 Milliarden Dollar über die Maschine, Tendenz rasch steigend.
«Wir machen reiche Leute
noch reicher.»
DIE GRÖSSTEN AKTIONÄRE
Maximaler Profit bei minimalem Risiko ist das Leitprinzip von Blackrock. Arbeit, Wohlstand, soziale Sicherheit, menschliche Entwicklung sind keine Kriterien. Neuerdings hat der Fonds zwar auch die Klimakatastrophe und drohende soziale Aufstände in die Algorithmen eingebaut. Was ihn nicht daran hindert, massiv in Öl und Rüstungskonzerne zu investieren oder mit ihren Plänen für den Umbau des französischen Rentensystems die protestierenden Massen auf die Strassen zu treiben.
Der Aufstieg von Blackrock zeigt die tiefen Veränderungen des Kapitalismus seit der Krise von 2008. Vorher war er ein kleiner Hai. Danach übernahm er das Kommando von den Banken und Hedge-Funds. Er kaufte gescheiterte Banken (etwa Barclays), und die Blackrock-Manager machten sich daran, im Auftrag der US-Regierung das System zu stabilisieren. Risikovermeidung ist ihre Obsession. Und Vizepräsident Philipp Hildebrands Job. Kern der Blackrock-Kundschaft sind die reichsten 10 Prozent der Welt. Ein interner Slogan sagt: «Wir machen reiche Leute noch reicher.» Sie saugen Sparkapital und Gewinne ab und legen sie für Banken, Versicherungen, Konzerne und Pensionskassen in Hunderten von Unterfonds an. Sogar das Geld von Kleinsparern ziehen sie in Form von Indexfonds (ETF) an sich.
Mit dieser Strategie sind Blackrock & Co. zu den grössten Aktionären in 180 führenden Weltkonzernen geworden, etwa bei Apple, Microsoft oder Shell. Und bei fast allen grossen Schweizer Konzernen, die früher der UBS oder Blocher gehörten.
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