Täuschungsmanöver: Der Schweizer Kosmetikmulti Just schenkt in Buenos Aires den Mitarbeitenden als Corona-Bonus einen freien Tag. Als diese wiederkommen, stehen sie vor leeren Fabrikhallen.
«VERRAT»: Die Arbeiterinnen und Arbeiter von Just finden klare Worte für die Schweizer Firma. (Fotos: Youtube / ZVG)
Tägliche Demos, eiskalte Manager und eine besetzte Fabrik: das sind die Zutaten des aktuell wohl heftigsten Arbeitskampfes in Buenos Aires, der Hauptstadt Argentiniens. Schon seit über einem Monat dauert er an und beschäftigt mittlerweile sogar das Arbeitsministerium der Riesenmetropole. Mittendrin: die weltweit tätige Schweizer Kosmetikfirma Just AG mit Sitz in Walzenhausen AR – bekannt für ihre Kräutersalben und therapeutischen Öle. Und für ihre emsigen Haustürverkäuferinnen und -verkäufer (siehe Text unten). In Argentinien geschäftet Just mit der Partnerfirma Swissjust. Diese besorgte jahrelang den Vertrieb der Just-Produkte in Übersee. Bis zum 16. Februar: An dem Tag warf Swissjust auf einen Schlag alle 52 Arbeiterinnen und Arbeiter seines Verteilzentrums raus. Das bringt nun auch die Unia auf den Plan (siehe Artikel unten).
Kurz vor dem Karnevalsmontag, einem nationalen Feiertag, war die Geschäftsleitung vor die Mitarbeitenden getreten – und hatte alle in ein verlängertes Wochenende geschickt. Logistiker Mardonio Racedo (40) sagt zu work: «Wir waren total überrascht.» Denn ausser am 1. Mai hätten sie bisher an jedem Feiertag arbeiten müssen. Nun aber schienen bessere Zeiten anzubrechen. Racedo: «Sie verkauften uns den freien Tag als Geste der Dankbarkeit für unseren Einsatz während der Pandemie.» Eine plausible Erklärung. Denn dem Hochbetrieb im Just-Verteilzentrum habe Corona nichts anhaben können.
«Es war der totale Schock!»
FRISS ODER STIRB
Was tatsächlich hinter der «Geste der Dankbarkeit» steckte, zeigte sich nach dem Karneval: Die Belegschaft stand vor verriegelten Werkstoren und einer leergeräumten Fabrik. Heimlich waren übers Wochenende sämtliche Maschinen und Lagerbestände abtransportiert worden. «Es war der totale Schock!» sagt Racedo, der seit 20 Jahren für Just arbeitete.
Die Belegschaft war fassungslos. Dann plötzlich klingelte es. Ein Zoom-Anruf vom Vorgesetzten. In einem zehnminütigen Monolog erklärte dieser, der Standort sei definitiv Geschichte. Die Abfertigung der Produkte von Just übernehme fortan der Subunternehmer Transfarmaco, ein Logistikriese zwei Autostunden entfernt. Wer dort arbeiten wolle, könne sofort anfangen und erhalte eine Abfindung. Wer den Arbeitgeber nicht wechseln wolle, aber die Kündigung einreiche, erhalte die Abfindung ebenso. Wem aber beides nicht passe, werde entlassen, sobald dies wieder erlaubt sei. Ende der Durchsage. Ein Rauswurf mitten in der Coronakrise – das habe vielen Kolleginnen und Kollegen glatt die Sprache verschlagen. Zumal in Argentinien zurzeit Entlassungen generell verboten sind. Die Mitte-links-Regierung erliess vor bald einem Jahr ein entsprechendes Corona-Dekret zum Schutz der Lohnabhängigen. Doch Swissjust fand einen Schleichweg.
Arbeiter Racedo findet das Vorgehen «absolut unwürdig und frech». Das sei auch dem Management klar. So sei einer der Oberen direkt nach dem Geheimmanöver in die Ferien verschwunden. Ein Wechsel zu Transfarmaco sei für ihn jedenfalls schlicht unmöglich: «Zu lange und zu teuer wäre die Anfahrt, zu tief ist der Lohn, zu schlecht sind die Sozialleistungen, und auch die bei Swissjust erarbeiteten Dienstaltersvorzüge würden wegfallen.»
DIALOG VERWEIGERT
So sieht es die Mehrheit der Mitarbeitenden im Betrieb. Deshalb besetzten sie kurzerhand die leergeräumte Fabrik. Und haben seither ein Pfand in der Hand, um ihrer Forderung Nachdruck zu verleihen: sie wollen die Wiederaufnahme des Betriebs. Doch Swissjust ist nicht einmal zu Gesprächen bereit. Zwar bat das Management an den runden Tisch, nachdem das Arbeitsministerium ein Konsultationsverfahren angeordnet hatte. Doch galt die Einladung nicht den Betroffenen oder ihrer Gewerkschaft CIS-CTA. Sondern ausgerechnet der handzahmen Gewerkschaft Seoca. Sie gab öffentlich zu, bei Swissjust kein einziges Mitglied zu haben. Und sie sprach sich gegen die Besetzung aus. Aber die Swissjust-Geschassten machen weiter. Auch mit Demos, jüngst etwa vor der Schweizer Botschaft. Dazu Racedo: «Wir haben nichts mehr zu verlieren.»
Walzenhausen AR Unia-Protest bei Just
Solidarische Grüsse aus dem Appenzellerland. Solche schickte die Unia am 10. März an die Swissjust-Belegschaft von Buenos Aires.
BEI JUST SCHWEIZ: Solidaritätsaktion der Unia. (Foto: Unia)
Und zwar per Instagram-Live-stream vom Just-Hauptsitz in Walzenhausen. Dort hatte sich ein Gewerkschaftsteam zum Protest versammelt. Gleichzeitig demonstrierte ennet des Atlantiks die Swissjust-Belegschaft mit 100 Unterstützenden. Und grüsste digital zurück: «Euch, liebe Schweizer Compañeras und Compañeros, gilt unser tiefster Dank. Nur euretwegen gelangt unser Anliegen an die oberste Firmeninstanz.»
UNFASSBAR. Tatsächlich stand in Walzenhausen auch Just-Geschäftsführer Heinz Moser auf Platz. Er erhielt von Unia-Mann Lukas Auer einen offenen Brief – und eine Standpauke: «Wenn Just wirklich ‹der sichere und attraktive Arbeitgeber› ist, wie es auf Ihrer Homepage heisst, dann geben Sie den Kolleginnen und Kollegen ihre Jobs zurück!» Moser entgegnete, Swissjust habe «niemanden entlassen» und sei überdies «juristisch unabhängig von Just». Ausserdem sei der geschlossene Standort schlicht zu klein geworden, was unter anderem die Arbeitssicherheit beeinträchtigt habe.
BEI JUST ARGENTINIEN: Belegschaft sagt danke! (Foto: ZVG)
Warum aber wurden die Mitarbeitenden hinters Licht geführt, wollte work wissen. Moser: «Für uns stand die sichere Belieferung der 75 000 Produktberaterinnen im Vordergrund. Auch sie haben Familien.» Also wusste die Schweizer Just-Führung genau, was Swissjust im Schild führte? Ja, lässt Moser durchblicken: «Wir waren stets nahe in den Prozess involviert und haben Wert darauf gelegt, dass die Mitarbeitenden drei gute Optionen erhalten.» Müssen demnach auch die Appenzeller Mitarbeitenden mit einem solchen Manöver rechnen? «Das steht nicht zur Diskussion, weshalb ich diese Frage nicht beantworten kann.» Würde die Just AG also genau gleich vorgehen, hätte sie nochmals die Wahl? «Absolut», sagt Geschäftsführer Moser.
Vom Pferdehaar zum Alpenkraut: Die wundersame Welt von Just
Im malerischen Dörfchen Walzenhausen AR hoch über dem Bodensee thront ein moderner Glaskomplex. Es ist der neue «Generationenbau» der Just AG – einer 1930 gegründeten und heute global tätigen Firma für Naturpflegeprodukte. Geführt wird sie in dritter Generation von den Brüdern Marcel und Hansueli Jüstrich. Ihre Kassen klingeln selbst in Coronazeiten, denn das Geschäft mit der Körperpflege ist relativ krisenresistent. Heute kreieren am Hauptsitz 170 Mitarbeitende allerlei Kosmetika und Naturpflegeprodukte. Weitere 200 Mitarbeitende produzieren in Argentinien – 50 mehr als noch 2019.
Auf über 120’000 angewachsen ist zudem die Zahl der «Produktberater». Sie tingeln mit Koffern voller Salben und Wässerchen von Tür zu Tür. Oder veranstalten «Erlebnisparties» für den Direktverkauf. Nur so, und nicht über Läden, gelangen die Just-Erzeugnisse an den Mann – und vor allem an die Frau: «Am liebsten sind uns verheiratete Frauen mit Kindern, die tagsüber zu Hause anzutreffen sind», sagte Marcel Jüstrich einst zum «NZZ Folio». Die Produktberaterinnen wirtschaften dabei auf eigene Faust. Wer nichts verkauft, verdient auch nichts.
ARGENTINIEN. Angefangen hatte Gründervater Ulrich Jüstrich übrigens mit Bürsten aus Pferdehaar. Eine Idee, die er aus seinen Wanderjahren in Argentinien mitbrachte und im Stickereilokal seines Vaters in die Tat umsetzte. Später politisierte der Patron für die FDP und als Anhänger der Moralischen Aufrüstung. Diese christlich-konservative Bewegung wollte den Kapitalismus zähmen, um den Kommunismus aufzuhalten.
Guten Tag Jonas Komposch
Vielen Dank für den interessanten Artikel. Ich habe die Firma Just über die Konsequenzen, die ich daraus ziehe, informiert.
Freundliche Grüsse
Guido Bruggmann, Kradolf