50 Jahre Frauenstimmrecht: 9 Ausstellungen auf einen Blick

Gleich mehrere Ausstellungen widmen sich aktuell dem langen Weg der Schweizerinnen zum Frauenstimmrecht und darüber hinaus. work hat sich umgeschaut. 

LAND DER AUFGEHENDEN BLUMEN: Bundespräsidentin Doris Leuthard trifft Chinas Präsidenten Xi Jinping 2017 in Beijing vor wehenden Fahnen. (Foto: Keystone)

St. Gallen  Macht und Mode

Kleider machen Leute. Das gilt überall und auch in der Politik. So trug die einstige Basler SP-Nationalrätin Anita Fetz, eine Linke der ersten Stunde, bei der Debatte über den Uno-Beitritt ein knallrotes T-Shirt mit dem Schweizerkreuz darauf. Ganz bewusst. Denn Fetz wollte das patriotische Symbol nicht den Rechten überlassen. Ein politisches Statement via Kleidung bot auch die SVPlerin Yvette Estermann: Bei ihrer Vereidigung im Nationalrat im Jahr 2007 erschien sie in einer Luzerner Tracht.

Beide Kleidungsstücke, das T-Shirt und die Tracht, sind jetzt als Leihgaben in einer Ausstellung im St. Galler Textilmuseum zu sehen. Die Schau hat den Titel «Robes politiques» (politische Kleider) und geht dem Zusammenhang zwischen Mode, Macht und Frauen nach. Kostüme und Accessoires, so die Kuratorinnen Annina Weber und Claudia Schmid, versinnbildlichten weibliche Machtansprüche. Politisch einflussreiche Frauen würden sich ­jedoch auf einem schmalen Grat bewegen: «Sie laufen stets Gefahr, für ­ihren Auftritt kritisiert zu werden.» Dafür liefern die Kuratorinnen bekannte Beispiele.

Schon immer mussten sich Politikerinnen Sprüche über ihr Äusseres anhören.

KOPFTUCH UND DÉCOLLETÉ

Teheran 2008: Die frühere Aussenministerin Micheline Calmy-Rey (SP), die wohl chicste Politikerin, die die Schweiz je hatte, zeigt sich vor den iranischen Machthabern mit einem Kopftuch. Rechte Kritiker warfen ihr einen Kniefall vor den Islamisten vor. Oder Oslo 2008: Die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel lässt bei der Einweihung von Norwegens spektakulärer neuer Oper tief in ihr Décolleté blicken. Was bei ihren Auftritten im nüchternen Hosenanzug sonst nie der Fall ist. Dafür erhielt sie böse Kommentare von Moralaposteln und Möchtegern-Stilprofis. Ungläubige Blicke erntete auch die damalige Verkehrsministerin Doris Leuthard bei der Einweihung des Neat-Tunnels. Sie trat in einem auffälligen Designerkleid auf, das mit Löchern durchsetzt war. Was als originell-ironischer Kommentar zum Tunnelbau gedacht war, löste allgemeines Kopfschütteln aus. Eher dezent dagegen ihr Blumenkleid bei ihrem Chinabesuch im Mai 2017 (Bild oben).

Schon immer mussten sich Politikerinnen von männlichen Kollegen Sprüche über ihr Äusseres anhören. Die der Mode wenig zugetane Bundesrätin Ruth Dreifuss beliess es in ihrem Outfit bei schlichtem Marineblau und Schwarz, kombiniert mit bunten Schals und Jacken. Dies quittierten Spassvögel mit dem Witz: «Was macht Ruth Dreifuss mit ihren alten Kleidern? Sie trägt sie.» Ein anderes Beispiel ist Tamara Funiciello. Kaum eine andere Politikerin in der Schweiz musste sich so viele sexis­tische Kommentare anhören. Die junge SP-Powerfrau entzieht sich pa­triarchalen Angriffen durch eine bewusst unauffällige Bekleidung – schwarze Hose, schwarzes T-Shirt, Blazer. Auch dieses T-Shirt ist in der St. Galler Ausstellung zu sehen. Und als Kontrast dazu ein Etuikleid von FDP-Bundesrätin Karin Keller-Sutter. Die FDP-Frau bevorzugt teure Stücke aus dem Hause Akris. Solche tragen modebewusste Politikerinnen mit Hang zum Businesslook überall auf der Welt. Zum Beispiel auch Beinahe-US-Präsidentin Hillary Clinton.

EITLER SCHRÖDER

Auch Männer haben es in die Schau im Textilmuseum geschafft. So der eitle deutsche Ex-SPD-Bundeskanzler Gerhard Schröder. Wegen seiner Vorliebe für superteure italienische Anzüge auch «Brioni-Kanzler» genannt. Sein Gegenstück ist Griechenlands linker Ex-Finanzminister Yanis Varoufakis. Dieser liebt Lederjacken und körperbetonte schwarze T-Shirts. Gleichgesinnt war einst der Grüne Joschka Fischer, als er 1985 in Jeans und Turnschuhen zum Umweltminister Deutschlands gekürt wurde. Doch bald wechselte auch er zum dunklen Anzug.

Eher Schaudern denn Bewunderung mag das strenge Deux-pièces der britischen Premierministerin Margaret Thatcher auslösen. Die konservative Hardlinerin zelebrierte die Macht der englischen Elite mit strengen Kostümen, Perlenketten und einer betonharten Helmfrisur. Diese ist – mit weniger Schnörkeln – heute bei Keller-Sutter wiederzu­finden.

Ein Accessoire von Thatcher, nämlich ihre Handtasche, brachte es sogar zu einem Eintrag im Oxford English Dictionary: «Handbagging» ist seither ein Synonym für das verbale Schlagen von Gegnern und Kollegen.

Ralph Hug

Robes politiques – Frauen Macht Mode. Bis 6.2.2022. www.textilmusem.ch


Bern:Frauen ins Bundeshaus!

SONNE: Symbol des Protests gegen die Nichtwahl von Christiane Brunner. (Foto: ZVG)

Überall Schnäuze und Bärte. Glatzköpfe und Grauschöpfe. Und im Bundesrat immer mal wieder: ein Kurt, ein Max oder ein Hans. 123 Jahre lang ging das so, im «Männerheiligtum» Bundeshaus. Und dann kamen die Frauen.

Zwölf waren es, die im Oktober 1971 die Wahl ins Parlament schafften. Wenige Monate nachdem die Schweizer Männer endlich Ja gesagt hatten zum nationalen Frauenstimmrecht. Das war der Durchbruch. Das Ende des hundertjährigen Kampfes darum, dass auch Frauen endlich mitreden und mitbestimmen können.

Doch nach dem Kampf kam der Krampf: In der Politik stiessen die Frauen auf Hürden, wo es für Männer keine gab. Denn so freundlich Bern die «ersten zwölf» auch mit Blumen begrüsste: der Bundesbetrieb blieb vorerst, was er schon immer gewesen war. Eine Männerwelt.

KEIN WC, KEIN ALKOHOL

Davon erzählt die Ausstellung «Frauen ins Bundeshaus», die zurzeit im Historischen Museum in Bern gezeigt wird. Nur zu gut erinnert sich dort die frühere FDP-Nationalrätin Vreni Spoerry im Videointerview, wie sie im Bundeshaus nach einem Frauen-WC suchte, während es für die Männer eines auf jedem Stockwerk gab. SP-Frau Gabrielle Nanchen wiederum weiss noch genau von ihrem Frust, wenn es wieder hiess: «Frau Nationalrat Nanchen hat das Wort.» Als sie darauf hinwies, dass es eigentlich Nationalrätin heissen müsse, bekam sie zu hören: «Das gibt es nicht.» Und als Nanchen ihre Karriere in der Bundespolitik 1979 beenden musste, war das auch deshalb, weil es im Bundeshaus keine Kinderkrippe gab (und bis heute nicht gibt).

Währenddessen beobachtete die Öffentlichkeit akribisch, wie sich die Frauen unter der Bundeshauskuppel schlugen. Der Druck war riesig: keinen Fehler machen, immer anständig aussehen, dossiersicher sein. Und zwar mehr als die männlichen Kollegen. Schliesslich plangte so mancher darauf, dass sich eine der Frauen einen Fehltritt leistete. Und damit zeigte, was ja «schon immer klar» war: dass Frauen in der Politik nichts zu suchen hätten.

Hanna Sahlfeld wusste deshalb genau: «Ich konnte mir keinen Skandal erlauben.» Also legte sich die 1971 28jährige SP-Nationalrätin selber Regeln auf: Keinen Tropfen Alkohol. Abends immer als erste heim ins Hotel. Nie mit einem Mann alleine ausgehen. Bei einer Einladung mit Männern möglichst eine Kollegin mitbringen. Und: mehr zuhören als reden.

GERÜCHTE UND HETZE

War das übertrieben? Leider nein. Christiane Brunner – die verhinderte Bundesrätin – erlebte es am eigenen Leib.

Sie kandidierte 1993 für den Bundesrat und wurde mit ­einer unglaublichen Hetzkampagne kaltgestellt. Dazu gehörten Gerüchte um ­angebliche Nacktfotos und um eine Abtreibung. Ihre Geschichte – aus ihrer ­eigenen Perspektive erzählt – ist unbestritten ein Herzstück der Ausstellung. Neben jener der ersten Bundesrätin Elisabeth Kopp, die 1989 schliesslich zum Rücktritt gezwungen wurde. Sie machen betroffen, traurig, hässig – und gleichzeitig optimistisch. Weil sich im Angriff auf die beiden Politikerinnen auch zeigte, dass sich die Frauen das nicht mehr gefallen lassen.

Tausende gingen nach der Nichtwahl von Brunner auf die Strasse. Seither gab es nie mehr ­einen Bundesrat ohne Frauen.­Immerhin. Und das ist einer der vielen Fortschritte, den die Frauen in den letzten 50 Jahren hartnäckig erkämpft haben. Innerhalb und ausserhalb des Bundes­hauses.

Patricia D’Incau

Frauen ins Bundeshaus. Bis 14. November. rebrand.ly/fraueninsbundeshaus


 

Zürich:Frauen und Rechte. Und Heldinnen.

(Foto: ZVG)

«Frauen. Rechte», so der simple Titel der Ausstellung. Gähn? Overkill im Jubiläumsjahr. Weit gefehlt! Es beginnt spannend schon im Entrée: Empfangen wird frau vom Video «Ever is over all» der Zürcher Künstlerin Pipilotti Rist, in dem eine junge Frau mit einer Blume Autoscheiben einschlägt. Es folgen – im Auftritt gesittet, in der Aussage ebenso radikal – die Schweizer Frauenrechtlerinnen Julie Bondeli, Susanne Necker-Curchod und Marianne Brentano Ehrmann. Vor 300 Jahren diskutierten sie in ihren Salons die Gleichstellung.

Menschenrechte sind Männerrechte, sind auch Frauenrechte? Keinesfalls! Zum Beispiel die linken Jakobiner in der Französischen Revolution: Sie hatten nicht nur keine Lust auf Gleichberechtigung, sondern bremsten die aufmüpfigen Frauen brutal aus. So Olympe de Gouges. Die Verfasserin der kühnen Deklaration der Rechte der Frau und Bürgerin wird als Royalistin angeklagt und 1793 geköpft. «Die Frau ist frei geboren und bleibt dem Manne gleich in allen Rechten», dieser erste Artikel ihrer Deklaration zieht sich als Motto durch die ganze Ausstellung.

DAS PATRIARCHAT SCHLÄFT ZURÜCK

Etwas versteckt in einer Nische lesen wir über das Schicksal von Lydia Welti-Escher, der Tochter und Erbin des grossen Zürcher Industriellen Alfred Escher. Ehebruch! Weder ihr Reichtum noch ihre Verwandtschaft ret­teten sie vor der grausamen Rache ihres Ehemannes und ihres Schwiegervaters.

Der Preis der Selbstbestimmung war der Hass der Männer. Gefährlich, grausam und oft tödlich. Die Ausstellung bereitet den unerschrockenen Frauen zu Recht eine grosse Bühne: Den ersten Studentinnen an der Universität Zürich, darunter auch Rosa Luxemburg. Den Arbeiterinnen, die schon 1873 gleichen Lohn für gleiche Arbeit forderten. Und den Arbeiterinnenvereinen, die als erste in der Schweiz das Frauenstimm- und -wahlrecht einforderten. Sie alle wagten viel. Denn eine Mehrheit der Männer war bis weit ins 20. Jahrhundert wild entschlossen, die Schweiz als letzte Bastion des Patriarchats zu verteidigen.

KEMPIN-SPYRIS CHAISELONGUE

Die Emanzipation der Frauen ist eine Geschichte von Heldinnen, aber darüber hinaus auch sehr witzig. Wenn Sie noch nie einen gestrickten Peniswärmer gesehen haben, haben Sie hier die Möglichkeit! Und ausgestellt ist auch das ganze Potpourri der Frauenkleidung der letzten 200 Jahre: die unglaublich komplizierten Röcke, mit denen Frauen erstmals aufs Fahrrad stiegen, die ersten Frauenhosen, die einschnürenden Mieder und natürlich der Mini-Jupe. Engmaschig war die Vernetzung der Frauen. National und international. Sie tauschten sich in ganz Europa und bis in die USA aus. Die Gewerkschafterinnen in der Schweiz waren bestens vernetzt mit den Sozialdemokratinnen im Deutschen Reich. Und diese kannten die Situation in der Schweiz. Die Frauen schrieben sich, publizierten und sahen sich an Konferenzen. Vielleicht liegt genau hier auch die Erklärung für die Ausdauer und zähe Unerschrockenheit der Vorkämpferinnen in der Schweiz.

Die Ausstellung endet auch mit Pipilotti Rist. Mit ihrer riesigen Chaiselongue zu Ehren von Emilie Kempin-Spyri. Sie war die erste Frau in der Schweiz, die 1887 als Juristin promovierte, aber nicht als Anwältin praktizieren durfte. Weil die Zulassung ans Stimmrecht gebunden war. Und dieses sollten die Frauen in der Schweiz auf nationaler Ebene erst 84 Jahre später erhalten. Auf Spyris Chaiselongue darf frau sich vor dem langen Abstieg ins Museumsparterre räkeln.

Dore Heim

Frauen.Rechte | Von der Aufklärung bis in die Gegenwart. Bis am 18. Juli. www.landesmuseum.ch/frauenrechte

noch mehr Ausstellungs-Tipps gibt’s in der work-Printversion (auf Seite 12 & 13)

work-Serie: Stimmrechtsfrauen

Am 7. Februar 2021 wurde das natio­nale Stimm- und Wahlrecht der Frauen in der Schweiz 50jährig. Aus diesem Anlass hat die Gewerkschafterin und Historikerin Dore Heim die unerschrockensten und wichtigsten «Frauenrechtlerinnen» in einer work-Serie porträtiert.

Gewürdigt wurden unter anderen: Katharina ­Zenhäusern, die als erste Schweizerin abstimmen ging. Iris von ­Roten, eine der ­radikalsten Denkerinnen der ­Sache der Frauen. Emilie Lieberherr, «Animal politique» wie keine andere Politikerin in der Schweiz. Josi Meier, die CVP-Politikerin, die sich eine ­eigene Meinung leistete. Martina Hälg-Stamm, die ­Pionierin in Mostindien. Dora Schmidt, die erste Bundesbeamtin der Schweiz. Die kompromisslose Revolutionärin Rosa Bloch. Und Margarethe Faas-Hard­egger, die Anarchismus, Abtreibung und freie Liebe propagierte. Alle Teile der Serie gibt es hier: rebrand.ly/frauenstimmen.

Schreibe einen Kommentar

Bitte fülle alle mit * gekennzeichneten Felder aus.