Katrin Bärtschi ist Briefträgerin in Bern und Gewerkschafterin.
Nun arbeitet die Briefträgerin schon mehr als ein Dutzend Jahre für die Post. Ihr Herz schlägt nicht mehr höher bei jedem gelben Töffli, das sie sieht. Und doch entgeht ihr kaum eines, das in ihrer Nähe vorbeihuscht. Das fast lautlose Geräusch des Dreirads, das typische Holpern des Anhängers. Auch kein gelbes Wägeli fährt unbemerkt an der Briefträgerin vorüber. Obwohl sie inzwischen weiss, dass längst nicht mehr jedes gelbe Fahrzeug im Dienst der Post unterwegs ist. Nur noch selten erhalten die neuen Besitzerinnen und Besitzer der von der Post abgestossenen Fahrzeuge vermeintlich kollegiale Grüsse von DXP-Sätteln aus.
Ihr Herz schlägt nicht mehr höher bei jedem gelben Töffli, das sie sieht. Und doch entgeht ihr kaum eines.
BERUFSSTOLZ. Die Briefträgerin ist weit davon entfernt, die Vergangenheit schönreden zu wollen. Jede Zeit hat ihre Sonnen- und ihre Schattenseiten, sonniger manchmal, manchmal finsterer, abhängig nicht zuletzt vom Gestaltungswillen der Menschen, die in ihr leben.
Das Wir-Gefühl, das in den Anfangsjahren der Briefträgerin bei der Post noch deutlich spürbar war, hat inzwischen an Kraft verloren. Es stammte wohl aus einer Zeit, in welcher der Begriff «Berufsstolz» keinen lächerlichen Beigeschmack hatte, die Arbeitsabläufe weniger streng vorgegeben waren und in welcher die Postangestellten Herren – und in der Minderheit Herrinnen – ihrer Zeit waren, Umstände, die einen direkten Einfluss auf das Selbstwertgefühl haben. Dann setzte die allgemeine Wirtschaftsliberalisierung und Privatisierung ein, der Scanner übernahm das Kommando, und das Zustellmonopol der Post begann zugunsten des «freien» Marktes zu zerfallen.
Eine neue Identität soll nun aufkommen, dem Zeitgeist angepasst und von oben angeregt: «Die Post von morgen, das bin ich!»
Die Briefträgerin war ein paar Tage in den Ferien. Und da fiel sie auf einen Spass herein: Was auf den ersten Blick nach einem Post-Zustellfahrzeug ausgesehen hatte, erwies sich als Occasion im Dienste einer Weinhandlung. Aufschrift: PROST.