Angelogen, getäuscht und rausgeworfen – das wurden die 52 Mitarbeitenden von Swissjust in Argentinien. Doch Logistiker Mardonio Racedo lief dagegen Sturm. Und Unia-Mitglied Ursina Weiler hatte eine zündende Idee.
Zwei volle Monate dauerte es und brauchte nichts weniger als eine Fabrikbesetzung, ein Protestcamp sowie 6 Demonstrationsmärsche – nun endlich ist es geschafft! Die Belegschaft der argentinischen Distributionsfirma Swissjust, eines Partnerunternehmens der Schweizer Kosmetikfirma Just AG, konnte ihre Arbeitsbedingungen erfolgreich verteidigen. Statt zu tieferen Löhnen und schlechteren Sozialleistungen werden sie vom Logistikriesen Transfarmaco zum exakt gleichen Tarif wie bei Swissjust übernommen. Eine entsprechende Vereinbarung wurde am 8. April von der Gewerkschaft CIS-CTA, dem Unternehmen und Behördenvertretern unterzeichnet.
Ein «Riesenerfolg» sei das, sagt Gewerkschaftssekretär Gustavo Córdoba, sogar ein «historischer Triumph». Denn die Betroffenen würden bei der neuen Firma höhere Löhne erzielen, als diese üblicherweise zahle. Hinzu kämen Beschäftigungsgarantien und andere Absicherungen. Córdoba: «Eine Leistung dieser Grössenordnung haben wir nie zuvor gesehen.»
«Das Abkommen ist eine grosse Genugtuung.»
SCHNELLE REAKTION
Froh ist auch Logistiker Mardonio Racedo (41): «Das Abkommen ist eine grosse Genugtuung, auch wenn wir unseren alten Standort schweren Herzens aufgeben müssen.» Er und seine 51 Kolleginnen und Kollegen wurden Mitte Februar auf die Strasse gestellt. Zuvor waren sie alle in ein verlängertes Wochenende geschickt worden – angeblich als Dank für coronabedingte Sonderarbeiten. Tatsächlich liessen die Chefs das Logistikzentrum in einer nächtlichen Geheimaktion räumen und verriegeln. Hinter dem Manöver standen die Eigentümer der Firma. Sie handelten im Wissen und mit dem Segen der Just AG, des mächtigen Schweizer Partnerunternehmens von Swissjust (work berichtete).
Doch zum Glück ist Racedo ein Mann mit langjähriger Gewerkschaftserfahrung. Sofort organisierte er eine Belegschaftsversammlung. In der Folge besetzten die Ausgesperrten «ihre» Fabrik. Lag darin der Schlüssel zum Erfolg? «Auch», sagt Racedo, «aber entscheidend war das Protestlager!»
SIEG. Die Swussjust-Belegschaft hat sich mit ihrem hartnäckigen Protest durchgesetzt. (Foto: ZVG)
PROTESTLAGER WIRKT
Fast drei Wochen campierten die Compañeros vor den Werkstoren. Das habe das Schweizer Unternehmen gewaltig gestört und unter Druck gesetzt. Und noch einen Vorteil gab es: Im Camp hat sich eine Art Denkfabrik entwickelt. Logistiker Racedo erklärt: «Es war der Ort, an dem all unsere Visionen zusammenflossen. Ständig analysierten wir, welche Schritte zu tun seien. Dann beschlossen wir gemeinsam.» Diese Art der direkten Demokratie sei das beste Mittel, mit dem sich Arbeiterinnen und Arbeiter verteidigen könnten. Aber ein Zuckerschlecken sei das Protestcampen nicht: «Wir mussten Wind, Regen und Kälte trotzen, waren getrennt von unseren Familien und haben sehr wenig geschlafen.» Das habe Moral und Geduld arg strapaziert. Umso wichtiger sei die Unterstützung aus der Schweiz gewesen. Racedo sagt sogar: «Ohne Ursina wäre all das nicht möglich gewesen.»
«Den Rauswurf fand ich absolut daneben.»
ZÜRCHERIN HILFT
Gemeint ist Ursina Weiler aus Zürich. Die 26jährige Kellnerin lebte einst selbst in Buenos Aires und erfuhr über Facebook vom Arbeitskampf in ihrer zweiten Heimat. Sie sagt: «Ich fand es absolut daneben, dass Geschäftspartner eines florierenden Schweizer Konzerns mitten in der Coronakrise Leute rauswerfen.» Weiler fackelte nicht lange. Als Unia-Mitglied informierte sie umgehend work. Ausserdem ihre Freundinnen und Freunde aus dem «Gastra-Kollektiv», das sich für bessere Arbeitsbedingungen und gegen Sexismus in Bars und Restaurants einsetzt.
Dann ging es schnell. Mit vereinten Kräften mobilisierten Weiler und die Unia-Sektion Säntis-Bodensee zu einer Solidaritätskundgebung am Just-Firmensitz in Walzenhausen AR. Vor Ort hielt die Zürcherin eine flammende Rede. Just-CEO Heinz Moser stand daneben und staunte. Und per Instagram-Livestream applaudierte das Swissjust-Kollektiv aus Argentinien: «¡Muchas gracias, compañera!»
JUST VERMITTELT
In der Folge berichteten verschiedene Zeitungen darüber. Und etliche Just-Kundinnen und -Kunden drohten empört mit Boykott. Jetzt endlich begriff der imagebewusste Kosmetikmulti den Ernst der Lage. Eine professionelle Krisenkommunikation musste her. Just engagierte die Hirzel. Neef.Schmid. Konsulenten AG, die Nr. 1 auf dem Schweizer PR-Markt. Stundenhonorare betragen dort bis zu 800 Franken.
Aber ans Eingemachte ging’s erst danach: Die Appenzeller kommandierten ihre argentinischen Geschäftspartner an den Verhandlungstisch. Man habe «aktiv vermittelt», heisst es dazu bei Just. Das hat gewirkt. Nach wenigen Tagen lag die Lösung auf dem Tisch. Just spricht von einer «grossen Erleichterung» über die «gute Lösung». Und Kellnerin Weiler und Logistiker Racedo sind sich einig: So geht internationale Solidarität!
In Buenos Aires geht die geschasste Swissjust-Belegschaft in die Offensive. Schon rumort es in einem zweiten Werk. Und auch am Just-Stammsitz in Walzenhausen AR sind nicht alle glücklich.
Täuschungsmanöver: Der Schweizer Kosmetikmulti Just schenkt in Buenos Aires den Mitarbeitenden als Corona-Bonus einen freien Tag. Als diese wiederkommen, stehen sie vor leeren Fabrikhallen.