Der grosse Rettungsplan für Amerika:
Von Reaganomics zu Bidenomics

Bereits hat US-Präsident Joe Biden ein Covid-Hilfspaket im Wert von 1,9 Billionen Dollar unterzeichnet. Nun will er einen grossen Infra­strukturplan nachschieben. Die neue US-Regierung weiss, was sie will.

US-RETTUNGSPLAN: Präsident Bidens Reformpläne sind eine grundsätzliche politische und wirtschaftliche Neuorientierung. (Foto: Getty)

Präsident Biden verschwendete angesichts der aktuellen Gesundheits- und Wirtschaftskrise in den USA keine Zeit. Kaum im Amt, verabschiedete er seinen ehrgeizigen «American Rescue Plan». Dieser «Rettungsplan für Amerika» verteilt 1,9 Billionen Dollar von oben nach unten um. Damit soll die Armut um ein Drittel und die Kinderarmut gar um die Hälfte reduziert werden. Bernie Sanders (79), der linke Senator aus dem US-Bundesstaat Vermont, sagt über das grosszügige Stimuluspaket: «Meiner Ansicht nach ist dies die wichtigste Vorlage zugunsten der werktätigen Bevölkerung, die in den letzten Jahrzehnten beschlossen worden ist.»

Einziger Nachteil: der Rettungsplan ist eine notfallmässige Krisenintervention. Das heisst, die darin vorgesehenen Sozialleistungen wie höhere Arbeitslosengelder, das garantierte Mindesteinkommen für Familien mit Kindern, die Ergänzungsleistungen für Miete, Nahrung und medizinische Vorsorge sind zeitlich befristet. Diese Reformen gesetzlich zu verankern wird nicht einfach sein. Schliesslich hat kein einziges der 261 repu­blikanischen Kongressmitglieder für den Rettungsplan gestimmt. Die Demokratinnen und ­Demokraten sicherten die Vorlage allein mit ihrer hauchdünnen Mehrheit in der ­Legislative.

LYNDON JOHNSON: Er lancierte in den 1960ern das Gesellschaftsprojekt Great Society. (Foto: Getty)

REICHE ZUR KASSE!

Doch bereits spricht die Regierung Biden von einem neuen Plan. Sie nennt das Vorhaben «Build Back Better»: Sie will die USA wiederaufbauen. Und zwar besser, das heisst grösser, grüner und gerechter als zuvor. Kostenpunkt: 3 bis 4 Billionen Dollar. Nebst klassischen In­frastrukturprojekten wie Brücken und Strassen sind darin auch Subventionen für ein grünes Energienetz vorgesehen, für einen breiteren Zugang zu den neuen Technologien, für umweltschonende Transportsysteme usw. Und nicht zuletzt gehört zu diesem verbesserten Wiederaufbau die «menschliche Infrastruktur». Die Regierung Biden plant eine Erweiterung des Bildungsangebotes: öffentliche Kindergartenplätze für alle Drei- und Vierjährigen sowie eine zweijährige gebührenfreie Ausbildung für junge Menschen nach Absolvierung der obligatorischen Schulzeit.

Finanziert werden sollen die erhöhten Staatsausgaben unter anderem mit einer Besteuerung der Reichen (Einkommen von mehr als 400’000 Dollar im Jahr). Ausserdem soll der Steuersatz für Unternehmen, den ­Donald Trump vor vier Jahren von 35 Prozent auf 21 Prozent gesenkt hatte, wieder auf 28 Prozent angehoben werden.

Insgesamt bedeuten Bidens Reformpläne eine grundsätzliche politische und wirtschaftliche Neuorientierung: weg von den neoliberalen Reaganomics, die die US-Politik seit den 1980er Jahren beherrscht und die soziale Ungleichheit enorm verschärft haben. Und hin zu einer sozialeren Wirtschaftsform, welche die US-Medien bereits Bidenomics nennen. Auch im rechten Lager hat man gemerkt, dass die neue US-Regierung weiss, was sie will. Und ist gar nicht froh darüber. Denn Bidens Sozialpolitik ist in der Bevölkerung sehr beliebt, selbst bei den einkommensschwächeren republikanischen Wählerinnen und Wählern. Also warnen die ­republikanischen Politiker, das Hilfspaket wie auch der Infrastrukturplan seien nichts anderes als «trojanische Pferde», in deren Bauch sich Sozialismus, Steuererhöhungen, und alles, was links ist, versteckten.

NEUER NEW DEAL

Die gleichen Leute, die Trumps Steuergeschenke in Billionenhöhe befürworteten, ­kritisieren nun Bidens Rettungsplan als Geldverschwendung. Der wachsende Schuldenberg werde die Kinder und Grosskinder belasten. Mit genau denselben Argumenten wurde in den 1930er Jahren die Wirtschaftsreform (New Deal) des demokratischen Präsidenten Franklin Roosevelt bekämpft. Heute möchte in den USA niemand mehr die damals eingeführten Sozialversicherungen missen. In den 1960er Jahren wehrte sich der «Sparwille» der Rechten gegen das grossangelegte Gesellschaftsprojekt (Great Society) von Präsident Lyndon Johnson. Heute sind die damals entstandenen staatlichen Krankenversicherungen für Seniorinnen und Senioren (Medicare) und für die Armen (Medicaid) unabdingbare und hochgeschätzte Institutionen im Alltag der USA.

Die Zeichen für einen grünen New Deal, für eine noch verlässlichere und gerechtere Great Society stehen derzeit nicht schlecht in den USA. Ex-Präsident Barack ­Obamas Rettungsversuche nach der Wirtschaftskrise von 2008 waren zu zaghaft, zu zögerlich und zu kompliziert, um ihre politische Wirkung zu tun. Offenbar hat sein damaliger Vizepräsident Joe Biden daraus gelernt. Diesmal sollen die Leute sofort und direkt spüren, dass die Regierung ihnen in der Krise beisteht. Und dass der Staat nicht das Problem ist, wie der republikanische Ex-Präsident Ronald Reagan in seiner Antrittsrede vor vierzig Jahren sagte. Ein ­demokratisch organisierter Staat kann durchaus zur Lösung gesellschaftlicher und wirtschaftlicher Probleme und Widersprüche beitragen.

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