Jean Ziegler
Wer Bücher schreibt, braucht eine Panzerhaut wie ein Rhinozeros. Die erste Auflage meines jüngsten Buchs über die schändliche europäische Flüchtlingspolitik erschien im letzten Jahr (siehe Fussnote). Die Kritiken im «Tages-Anzeiger», in der «Süddeutschen Zeitung», im work, in ARD, ZDF und Deutschlandfunk waren gut bis sehr gut. Selbst die NZZ fand das Buch «nützlich». Nur die «Frankfurter Allgemeine Zeitung» publizierte einen Totalverriss. Der Idiot jenes Blattes warf mir vor, ich verleumde die europäische Grenzschutzbehörde Frontex, weil ich ihr die Jagd auf Flüchtlingsboote im östlichen und zentralen Mittelmeer vorwerfe.
Schweizer Steuermillionen helfen mit, die verbrecherische Menschenjagd zu finanzieren.
HILFLOSES EU-PARLAMENT. Brüssel, Donnerstag, den 29. April 2021: Das Europaparlament verweigert mit 528 zu 127 Stimmen bei 43 Enthaltungen die Genehmigung des Frontex-Geschäftsberichtes von 2019. Grund: Die mit schweren Maschinengewehren bestückten Schnellboote von Frontex hindern mit Gewalt die maroden Schiffe und Gummiboote voller hilfesuchender Menschen daran, eine europäische Küste zu erreichen. Frontex liquidiert damit das universelle Menschenrecht auf Asyl.
Die Zeitung «Le Monde» vom 3. Mai, die dem Donnerschlag aus Brüssel eine halbe Seite widmet, stellt ernüchternd fest, dass die Abstimmung an der Praxis der Grenzschutzbehörde nichts ändern werde. «Le Monde» hat recht. Denn es geht um riesige Interessen der Rüstungsindustrie. Frontex setzt die Abschreckungsstrategie der EU um. In ihrer Finanzplanung sieht die EU für «Grenzsicherung und Migration» ein Budget von 34,9 Milliarden Euro vor. Mit dieser Summe soll eine Hochleistungstechnologie zur Menschenjagd finanziert werden.
HOCHLEISTUNGSTECHNOLOGIE. Entlang der Mauer von 700 Kilometern Länge, die den Nordwesten Syriens von der Türkei trennt, finanziert Brüssel zum Beispiel eine Selbstschussanlage. Nähert sich ein Mensch der Mauer auf 300 Meter, vernimmt er zunächst in drei Sprachen und mehrfach wiederholt die Aufforderung, umzukehren. Geht er trotzdem weiter, wird er von einem automatisch ausgelösten Maschinengewehr unter Beschuss genommen. Die Rüstungsindustrie entwickelt spezielle Radargeräte und geostatische Satelliten, die Bewegungen am Boden erkennen. Röntgenscanner, Herzschlagmessgeräte und Atemluftscanner spüren Flüchtlinge auf, die in geschlossenen Lastwagen transportiert werden.
MIT SCHWEIZER STEUERGELD. Unter den rund 1000 Frontex-Beamten sind auch Schweizer Zöllnerinnen und Polizisten. Schweizer Steuermillionen helfen mit, die verbrecherische Menschenjagd zu finanzieren.
Der Bundesrat muss sogleich und ersatzlos auf die Frontex-Mitgliedschaft verzichten.
Jean Ziegler ist Soziologe, Vizepräsident des beratenden Ausschusses des Uno-Menschenrechtsrates und Autor. Sein neustes Buch ist: Die Schande Europas. Von Flüchtlingen und Menschenrechten.