Rahmenabkommen: Falsch aufgegleist
Die Verhandlungen zwischen der Schweiz und der EU über das institutionelle Rahmenabkommen rutschen auf den Abgrund zu. Sie waren von Anfang an schräg aufgegleist.
Wie manche Runde dreht das Rahmenabkommen mit der EU noch? Auch nach dem Treffen des Schweizer Bundespräsidenten mit der EU-Kommissionpräsidentin bleibt die Lage verfahren.
Das Rahmenabkommen mit der EU ist noch nicht offiziell tot. Es zuckt noch ein bisschen. Die Frage ist: Gelingt der Befreiungsschlag den sich immer noch manche erhoffen? Oder braucht es doch einen Neuanfang? Denn in der vorliegenden Form ist das Rahmenabkommen nicht mehrheitsfähig – und darum eigentlich auch nicht unterschreibbar.
Dabei ist es in grossen Zügen gar nicht so schlecht. Aber die Marktradikalen hüben und drüben wollten gleich auch noch den Schweizer Lohnschutz schleifen. Denn die Schweizer flankierenden Massnahmen sind ihnen seit je ein Dorn im Auge. Weil diese die Lohnabhängigen schützen. Und das ist ihnen zu profitschädigend.
Aussenminister Ignazio Cassis, dieser FDP/SVP-Hybrid-Bundesrat, stellte sich an die Spitze der Lohnschutzschleifer. Und legte eine Bruchlandung hin. Weil der damalige SGB-Präsident Paul Rechsteiner den Braten roch und klare Ansagen machte: ohne Lohnschutz nicht mit uns! Bis heute ist die Haltung der Gewerkschaften klar: «Rahmenabkommen ja, aber nicht in dieser Form.» Die rechtsnationalistische SVP ist sowieso gegen einen Rahmenvertrag. Bei der FDP bröckelt die Ja-Front. Und der schlaue Mitte-(Ex-CVP-)Präsident Gerhard Pfister hat schon länger begriffen, dass es so nichts wird. Wie verchachlet die Lage unterdessen ist, hat auch die Mehrheit des Bundesrates begriffen. Und den Bruchpiloten Cassis kaltgestellt. Obwohl er im «Sonntagsblick» noch gross ankündigte, er werde gemeinsam mit Bundespräsident Guy Parmelin nach Brüssel reisen, musste er zu Hause bleiben.
Der Schweizer Lohnschutz muss vor dem EU-Gerichtshof geschützt werden.
Volkswirtschaftsminister Parmelin reiste mit zwei schweren Rucksäcken nach Brüssel. Der eine mit den drei strittigsten Punkten: Lohnschutz, Unionsbürgerrichtlinien und Service-public-Finanzierung. Der zweite mit seiner SVP-Zugehörigkeit. Doch der Waadtländer Weinbauer schlug sich wacker. Weder liess er sich von seiner Partei instrumentalisieren noch von EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen sonderlich beeindrucken. Er deponierte die Botschaft, die Cassis immer verschleiert hatte: In den strittigen Punkten des vorliegenden Vertragstextes braucht es mehr als «Präzisierungen». Es braucht Änderungen. Was die EU, die das Abkommen für «fertig verhandelt» erklärt hat, natürlich nicht amüsiert. Schliesslich hatte der Schweizer Aussenminister Cassis das irgendwann auf irgendeinem Flughafen dem Vernehmen nach einem EU-Vertreter so bestätigt.
Die Lage ist verfahren. Denn einerseits würde die Schweiz von einem vernünftigen Rahmenabkommen genauso profitieren wie die EU. Statt «autonomen Nachvollzugs» oder Dauerverhandlungen würde rechtliche Klarheit herrschen. Für die Unternehmen wie für die Lohnabhängigen. Andererseits ist das Rahmenabkommen in der vorliegenden Form gerade für die Arbeitnehmenden nicht annehmbar.
Was müsste geschehen, damit doch noch ein mehrheitsfähiges Abkommen zustande käme?
All das hätte eigentlich zum Job von Cassis und seinem Team gehört. Jetzt müssen neue Leute versuchen zu flicken, was Cassis & Co. angerichtet haben.
Wieweit die EU bereit ist, wieder auf echte Verhandlungen einzusteigen, ist im Moment Kaffeesatzleserei. Es gibt Hoffnungsvolle wie etwa alt Bundesrat Pascal Couchepin, der in der «Schweizer Illustrierten» sagte: «Man muss nicht mehr ewig verhandeln. Sondern die jüngsten Vorschläge von Brüssel und Bern in Übereinstimmung bringen und dann den Vertrag dem Parlament vorlegen.» Und es gibt solche, die das vorliegende Werk für gescheitert halten. Darunter viele gewerkschaftsnahe Politikerinnen und Politiker. Sie wissen: gegen die Lohnabhängigen und gegen die SVP ist keine Abstimmung zu gewinnen. Und die Lohnabhängigen sind nicht zu gewinnen, solange die flankierenden Massnahmen in Gefahr sind.