Ohne sie läuft in den Arztpraxen landauf, landab nichts: medizinische Praxisassistentinnen. Sarah Brönnimann (25) ist eine von ihnen. Sie liebt die Vielseitigkeit an ihrem Job, wünscht sich aber mehr gesellschaftliche Anerkennung.
WERTVOLLE ARBEIT: Die Praxisassistentin ist mehr als einfach die Handlangerin der Götter in Weiss. (Foto: Matthias Luggen)
«Mein Geduldsfaden ist ellenlang», sagt Sarah Brönnimann. Diese Geduld kann die medizinische Praxisassistentin (MPA) in ihrem Job gut gebrauchen – etwa dann, wenn sie es mit Patientinnen und Patienten zu tun hat, die schon genau wissen, was ihnen fehlt, bevor sie überhaupt die Praxis betreten haben. Oder mit jener «Stammkundin», die immer mindestens eine halbe Stunde zu spät zum Termin kommt und den Lernenden das Verbandsmaterial aus der Hand reisst, weil sie nicht warten mag. Doch solche Fälle sind zum Glück selten, «sehr selten», wie die 25jährige betont. «Ich bin sehr happy in meinem Beruf.» Natürlich gebe es auch besonders schwierige, emotionale Momente, den Tod eines langjährigen Patienten oder die zunehmende Gebrechlichkeit von Menschen, die sie seit Jahren kennt. «Man hat ja irgendwie auch eine Bindung», sagt sie.
KLISCHEES. Seit fünf Jahren arbeitet Sarah Brönnimann in einer grossen Gemeinschaftspraxis am Bubenbergplatz in Bern. Der Kontakt mit den Menschen, die vielfältigen Einblicke in verschiedene medizinische Bereiche, dazu administrative Tätigkeiten und die Arbeit im Labor gefallen ihr sehr: «Es ist enorm abwechslungsreich», sagt die junge Frau. Und doch geistern immer noch Klischeevorstellungen über die «Arztgehilfin» herum: «Viele denken, die medizinische Praxisassistentin ist das Fräulein, das am Empfang hübsch lächelt und das Telefon abnimmt», sagt Brönnimann. Sie habe auch schon gehört, dass auch Leute mit ganz anderen Berufen ihren Job machen könnten. Sie erzählt es leichthin, als könnten ihr solche Sprüche nichts anhaben. Und doch: Brönnimann wünscht sich, dass ihr Berufsstand und das Gesundheitswesen generell mehr gesellschaftliche Anerkennung erhalten und entsprechend entlöhnt werden. Immerhin hat bei vielen Vorgesetzten ein Umdenken stattgefunden – die MPA ist nicht mehr einfach die Handlangerin der Götter in Weiss. Brönnimann sagt: «Ohne uns geht es nicht. Die Ärztinnen und Ärzte bringen uns grosse Wertschätzung entgegen.»
Schon als Mädchen wusste Sarah, dass sie beruflich «irgendwas mit Gesundheit» machen wollte. Der Doktorkoffer war eines ihrer liebsten Spielzeuge. Lange wollte sie Fachfrau Gesundheit (FaGe) werden, hatte bereits die Zusage für eine Lehrstelle. Doch dann konnte sie bei einem Hals-Nasen-Ohren-Spezialisten als MPA schnuppern, liess die FaGe-Lehrstelle sausen und absolvierte ein 10. Schuljahr. Für die MPA-Lehre ist das ein Vorteil: «Viele Praxen wünschen sich Lernende, die schon etwas reifer sind», sagt sie. 2012 trat Brönnimann ihre Lehre in Moosseedorf an, nur ein paar Kilometer vor den Toren der Bundesstadt. Und doch: eine andere Welt. «Eine typische Landpraxis», sagt Brönnimann. «Die Leute auf dem Land sind weniger anspruchsvoll, gehen auch nicht gleich zum Arzt.» Das städtische Publikum hingegen sei fordernder, auch weniger geduldig – und viel heterogener. «Mir gefällt es sehr, dass wir es hier mit verschiedenen Kulturen zu tun haben.» Sie sei schon immer an anderen Ländern interessiert gewesen. Über den Jahreswechsel 2018/19 reiste sie drei Monate alleine durch Asien. «Ich war schon vorher sehr selbständig, aber dort bin ich es noch mehr geworden.» Zudem habe sie noch mehr schätzengelernt als vorher, wie gut es ihr in der Schweiz gehe.
12 ABSTRICHE PRO STUNDE. Das Reisen fehlt ihr denn auch gerade sehr. Und trotzdem käme sie nicht auf die Idee, jetzt irgendwohin zu fliegen. «Ich finde, es ist jetzt einfach nicht angebracht, mitten in der Pandemie», sagt sie. Bei ihrer Arbeit trifft sie auch auf Menschen, die das lockerer sehen – und sich etwa für Reisen «frei testen» lassen: Eigens für die PCR-Tests hat die Praxis Räumlichkeiten des Kinos Gotthard angemietet, wo die Praxisassistentinnen und Ärztinnen täglich während anderthalb Stunden Abstriche machen – rund zwölf pro Stunde. Doch nicht nur bei den Tests haben MPA mit Covid-19 zu tun, sie können Patientinnen und Patienten auch die Impfung verabreichen.
Sarah Brönnimann hat in diesem Jahr noch andere Pläne: Sie steht kurz vor dem Abschluss ihrer Weiterbildung zur medizinischen Praxiskoordinatorin (MPK). Im November wird sie die eidgenössische Prüfung ablegen. Die klinischen Module hat sie bereits abgeschlossen – dazu gehören etwa Diabetesberatungen und Atemwegserkrankungen. Langeweile kommt also bei Sarah Brönnimann nicht auf – zumal sie auch noch eine Lernende betreut. Dass letztere auch eine junge Frau ist, ist kein Zufall: Die meisten MPA sind Frauen. «Wir hatten kürzlich einen Jungen zum Schnuppern», sagt sie, «aber das kommt vielleicht alle zwei Jahre vor.» Das liegt auch daran, dass der Lohn niedrig ist und die direkten Weiterbildungsmöglichkeiten beschränkt sind. Deshalb hat Sarah Brönnimann noch die Berufsmatura absolviert, um sich den Fachhochschulzugang zu sichern. Aber eigentlich möchte sie noch in zehn Jahren als MPA arbeiten: «Wenn’s mir ums Geld ginge, hätte ich nicht diesen Weg gewählt. Aber es ist ein mega schöner Beruf.»
Sarah BrönimannReisen, Kochen, Lesen
Sarah Brönnimann ist in Schliern bei Köniz und Oberbottigen bei Bern mit einer drei Jahre jüngeren Schwester aufgewachsen. Heute lebt sie mit ihrem Freund in Bern. Ihr Vater hat als «Pösteler» gearbeitet und ist heute bei Postfinance in der Informatik tätig, ihre Mutter arbeitete im Detailhandel. «Sie hätte sehr gerne in der Pflege gearbeitet, aber ihre Eltern haben sie nicht unterstützt», sagt Sarah Brönnimann. Sie selbst hatte immer den vollen Support ihrer Familie.
«EIS GA ZIE!» Zurzeit vermisst sie nebst dem Reisen vor allem, mit Freundinnen im Berner Kulturzentrum Progr «eis ga zie». Immerhin kann sie zu Hause dem Backen und Kochen frönen. Auch liest sie gerne. Zurzeit liegt auf ihrem Nachttisch «Die Analphabetin, die rechnen konnte» von Jonas Jonasson.
LOHN. Sarah Brönnimann arbeitet 90 Prozent und verdient auf eine Vollzeitstelle gerechnet 5100 Franken brutto im Monat, davon sind 100 Franken eine Funktionszulage als Ausbilderin für Lernende. «Ich bin zufrieden mit meinem Lohn», sagt sie. «Aber generell müssten die Löhne angepasst werden.» Der empfohlene Mindestlohn für MPA beträgt in der Schweiz durchschnittlich rund 4100 Franken im Monat, ist aber kantonal unterschiedlich. Bis vor rund drei Jahren waren es im Kanton Bern 3850 Franken.
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