Nach nur 100 Tagen im Amt steht fest: US-Präsident Joe Biden lässt Worten Taten folgen.
ARBEIT BELOHNEN: Wird Joe Biden der gewerkschaftsfreundlichste US-Präsident seit Franklin D. Roosevelt – oder noch gewerkschaftsfreundlicher? Im Bild rechts: Vizepräsidentin Kamala Harris. (Foto: Getty)
Am ersten Tag im Amt feuerte US-Präsident Joe Biden gleich ein paar Leute. Unter anderen den Chef der nationalen Arbeitsbehörde (National Labor Relations Board), Peter Robb. Er war ein Gewerkschaftshasser und von Donald Trump eingesetzt worden. Und er tat alles, um die gewerkschaftliche Organisierung der Abeitnehmenden in den USA zu behindern.
Jetzt hat der Wind gedreht. Bereits ist die Rede davon, dass kein US-Präsident so gewerkschaftsfreundlich gewesen sei wie Biden. Nicht einmal Franklin D. Roosevelt. Dieser hatte in den 1930er Jahren die USA mit Investitionen aus der Depression geführt und unter anderem einen Mindestlohn eingeführt. Demokrat Biden geht jetzt weiter. Das zeigte seine starke Rede zu den ersten 100 Tagen im Amt.
Biden leitet eine politische Wende ein.
Impfen: Biden hatte 100 Millionen Corona-Impfungen in 100 Tagen versprochen: «Geliefert haben wir 220 Millionen Covid-Impfungen in 100 Tagen. Als ich meinen Amtseid abgelegt habe, waren weniger als ein Prozent der älteren Menschen geimpft. 100 Tage später sind fast 70 Prozent der älteren Bevölkerung vollständig geschützt.»
Arbeit: Biden hat ein billionenschweres Investitionsprogramm zur Ankurbelung der krisengeschüttelten Wirtschaft zusammengestellt, den American Rescue Plan. Plus einen Plan zur Schaffung von Arbeitsplätzen, den American Jobs Plan. Es ist der grösste Plan für Beschäftigung seit dem Zweiten Weltkrieg.
Ökologischer Umbau: «Wenn ich an den Klimawandel denke, denke ich an Arbeitsplätze», so Biden. Er will Arbeitsplätze für Ingenieure und Bauarbeiter schaffen, die energieeffiziente Gebäude und Häuser bauen. Und Elektriker sollen entlang den Autobahnen 500 000 Ladestationen für Elektroautos installieren. Biden: «Es gibt keinen Grund, warum die Vereinigten Staaten bei der Elektrofahrzeug- und Batterieproduktion nicht weltweit führend sein sollten.»
Steuern: Biden will «Arbeit belohnen, nicht Reichtum». Dazu will er sowohl die Steuern für die Reichen als auch die Konzernsteuern weltweit wieder erhöhen. Also die Steueroasen austrocknen (work berichtete).
Durch eine Förderung der Arbeit gegen das Kapital und der Arbeitnehmenden gegen die Konzernmacht hofft Biden auf eine stabilere US-Gesellschaft. Revolutionär ist das alles nicht. Aber Biden leitet soeben eine wirkliche politische Wende ein. Nach Jahrzehnten der Entmachtung will er die Position der Lohnabhängigen endlich wieder stärken. Auch mit einem Gesetz, das die gewerkschaftliche Organisierung schützt. Der Kongress hat den sogenannten «Protect the Right to Organize Act» bereits gutgeheissen. Doch die Republikaner versuchen ihn im Senat zu blockieren.
VON WEGEN FARBLOS
Biden scheut sich auch nicht, öffentlich die Beschäftigten von Alabama in ihrem Kampf um eine betriebliche Vertretung im Onlinekonzern Amazon zu unterstützen. Vor zwei Wochen rief er zudem im Weissen Haus eine Taskforce ins Leben. Sie wird von einer Gewerkschafterin präsidiert und soll Massnahmen vorlegen, wie sich Bundesangestellte besser organisieren könnten. Nur 28 Prozent sind Mitglied einer Gewerkschaft. In der US-Privatwirtschaft ist der Anteil der gewerkschaftlich Organisierten gar auf magere 6 Prozent gesunken. Eine Folge von antigewerkschaftlichen Gesetzen, die republikanische Gouverneure in den letzten Jahren in vielen Bundesstaaten durchgesetzt haben.
Ausserdem will Biden den nationalen Mindestlohn auf 15 Dollar pro Stunde erhöhen. Wie dies eine Volksbewegung seit Jahren fordert. Da dies bis jetzt nicht gelang, sucht er nun die geballte Wirtschaftsmacht der öffentlichen Hand zu nutzen: Wer Aufträge aus seinen Investitionsprogrammen will, muss diesen Minimallohn einhalten. Oder geht leer aus. In Washington sind sich viele einig: Der zuvor als farblos titulierte Biden hat auf unspektakuläre, aber schlaue Weise bereits mehr für die Arbeitnehmenden im Land getan als alle seine demokratischen Vorgänger mit grosser Rhetorik.
Trump hatte den 78jährigen Rivalen im Wahlkampf noch als «Sleepy Joe» (schläfrigen Joe) verhöhnt. Jetzt sind es die Rechten, die sich über «Turbo Joe» und seine arbeitnehmerfreundliche Politik die Augen reiben.