In immer mehr Kantonen gibt es gesetzliche Mindestlöhne. Nächstens auch in Basel und Zürich? work sagt, was dahintersteckt und was man wissen muss.
EINEN SCHRITT VORAUS. Die Kantone Neunenburg, Jura, Genf und Tessin haben bereits einen Mindestlohn eingeführt. (Montage: work)
Wer hätte das gedacht? In den Kantonen breiten sich gesetzliche Mindestlöhne aus. Löhne, die kein Chef unterbieten darf. Noch vor wenigen Jahren sah es anders aus. Das Schweizer Volk lehnte die Mindestlohninitiative der Gewerkschaften ab.
Mit 76 Prozent. 22 Franken pro Stunde hätten es im Minimum sein sollen. Die Patrons jubelten. Doch sie hatten sich getäuscht. Es ist nämlich keineswegs so, dass die Bevölkerung etwas gegen Löhne hätte, die zum Leben reichen. Ganz im Gegenteil. Das zeigt die Geschichte seither. Inzwischen haben bereits vier Kantone Minimallöhne per Gesetz eingeführt. Es ist eine der grossen Erfolgsgeschichten der gewerkschaftlichen Linken.
Wo gibt es gesetzliche Mindestlöhne?
Im Jahr 2017 war Neuenburg der erste Kanton, der einen gesetzlichen Mindestlohn von 20 Franken erliess. Danach folgten Jura (2018), Tessin (2019) und Genf (2020). In Basel wird am 13. Juni über eine Mindestlohninitiative abgestimmt (siehe Artikel unten). Im Kanton Zürich haben die Gewerkschaften kommunale Volksinitiativen in Zürich, Winterthur und Kloten eingereicht.
Wie hoch sind die Mindestlöhne?
Im Kanton Neuenburg beträgt der Mindestlohn rund 20 Franken pro Stunde. Gleich viel sind es im Jura. Im Kanton Genf hiess das Stimmvolk einen Mindestlohn von 23 Franken gut, er gilt seit Ende 2020. Der Tessiner Mindestlohn wird auf Ende 2021 mit 19 bis 19.50 Franken eingeführt. Ein Jahr später steigt er auf 19.50 bzw. 20 Franken.
Warum ist er gerade so hoch?
Der Minimallohn beruht auf der Berechnung der Ergänzungsleistungen für die Lebenshaltungskosten. Das Prinzip heisst: Ein Lohn soll so hoch sein, dass er zum Leben reicht. Wie die meisten Löhne ist der Minimalstundenlohn als Bruttolohn definiert. Er kann auf Monatslöhne hochgerechnet werden. Ein Minimallohn von 23 Franken entspricht bei einer 42-Stunden-Woche etwa zwölf Monatslöhnen von 4182 Franken.
Sind gesetzliche Minimallöhne juristisch wasserfest?
Ja. In jahrelangen Prozessen hatten die Neuenburger Arbeitgeber versucht, den bereits 2011 beschlossenen gesetzlichen Mindestlohn zu kippen. Doch 2017 segnete das Bundesgericht einen Minimallohn von 20 Franken höchstinstanzlich ab. Mit der sozialpolitischen Begründung, er sei für die Armutsbekämpfung wichtig und daher ein zulässiger Eingriff in die Wirtschaftsfreiheit.
Gilt ein gesetzlicher Mindestlohn für alle Branchen?
Es kommt darauf an, was im Gesetz steht. In Neuenburg gilt der Minimallohn in allen Branchen ausser der Landwirtschaft. Im Jura sind Branchen mit allgemeinverbindlichen Gesamtarbeitsverträgen (GAV) oder mit kantonalen Normalarbeitsverträgen vom Mindestlohn ausgenommen. Deshalb müssen die Gewerkschaften immer wieder dafür kämpfen, dass die 20 Franken pro Stunde nicht unterboten werden. Im Tessin sind Branchen mit allgemeinverbindlichen GAV nicht vom Mindestlohn erfasst. Der Genfer Minimallohn gilt hingegen ohne grössere Ausnahmen.
Beissen sich Mindestlöhne in GAV und gesetzliche Mindestlöhne?
Nein. Denn in Kantonen ohne gesetzliche Lohnuntergrenze verhindern nur Gesamtarbeitsverträge mit Lohnvorschriften ein Absacken der untersten Löhne. Diskussionen entstanden lediglich dort, wo der gesetzliche Mindestlohn höher liegt als der Minimallohn in einem GAV, etwa in der Gastrobranche.
Woher kommt die Rückkehr der Mindestlöhne?
Die Gewerkschaften lancierten in den 1990er Jahren die Kampagne «Kein Lohn unter 3000 Franken». Mit Erfolg. Unternehmen wie die Migros mussten die tiefsten Löhne anheben. In den nuller Jahren folgte die Kampagne für Mindestlöhne von 4000 Franken. So konnten die Gewerkschaften verhindern, dass sich ein breiter Tieflohnsektor bildet – im Gegensatz zum Ausland. Jetzt hilft die langjährige Skandalisierung unwürdiger Tieflöhne mit, dass in den Kantonen der Durchbruch mit gesetzlichen Mindestlöhnen gut gelingt.