Katrin Bärtschi ist Briefträgerin in Bern und Gewerkschafterin.
An einem morgendlichen «Briefing» (für die Briefträgerinnen und Briefträger …) wurde mitgeteilt, dass die Post die Briefeinwurfleerungen deutlich reduzieren wolle. Die Bevölkerung sei bei allfälligen Reklamationen an den «Kundendienst» zu verweisen. Die Briefeinwürfe wurden mit angepassten Hinweisen versehen, die Zeitschrift «Saldo» griff das Thema auf und in ihrem Gefolge weitere Zeitungen: Die Anzahl Briefeinwurfleerungen am Wochenende werde um zwei Drittel reduziert. An Werktagen gebe es mehrheitlich nur noch eine Morgenleerung durch die Briefträgerinnen und Briefträger auf der Tour. «Ja, das wird Reaktionen geben», hatten einige Kolleginnen und Kollegen schon am Briefing vermutet. Und äusserten später ihre Zweifel, dass dieser Dienstleistungsabbau eine gute Sache sei.
Der Briefkasten ist ein Ort der Geheimnisse und der Verheissung.
Tatsächlich waren die Reaktionen im Netz durchweg negativ, von zynisch über zornig bis resigniert. «Kein Wunder, schreiben die Leute keine Briefe mehr.» «Besser das Porto sparen und den Brief selber bringen.» «Preis rauf, Dienstleistung runter, das nennt sich Service public.» «Schade, dass ein Bundesbetrieb nur noch auf höhere Gewinne aus ist.» Bereits 2007 hatte «20 Minuten» getitelt: «Briefkastensterben in der Schweiz. Die Post hebt bis 2010 etwa jeden zehnten Briefkasten auf.» Jetzt betont laut Presseberichten eine Postsprecherin: «Wir wollen nicht Briefkästen abbauen, sondern den Menschen in der Schweiz kurze Wege bieten» – diese Argumentation ist der Briefträgerin irgendwie peinlich.
PHILOSOPHIE. Vor Jahren schickte ein Freund ihr einen Zeitungsartikel zum Thema Briefkasten. Einen hochphilosophischen, nur halbverständlichen. Geblieben ist der Briefträgerin, dass der Verfasser den Briefkasten als Ort der Geheimnisse, als dunkles Gefäss der Verheissung, ja der Hoffnung beschrieb. Und so ist es in der Tat: Sowohl Briefeinwurf wie Hausbriefkasten enthalten Verschlossenes, Geheimes, Überraschendes, manchmal sogar Erfreuliches. Er ist und soll bleiben: eine Wundertüte aus gelbem Blech. Mit Inhalten, die ihr Ziel erreichen wollen, bevor sie veraltet sind.