Katrin Bärtschi ist Briefträgerin in Bern und Gewerkschafterin.
Die Briefträgerin kennt wieder mehr Leute, die beim RAV angemeldet sind. Und wird dadurch auch an ihre eigenen Erfahrungen erinnert. Als Anekdote, aber vielleicht auch zum Zweck einer späten Abrechnung möchte sie davon erzählen. Es ist vierzehn Jahre her. Sie hatte ihre Stelle mit guten Gründen, aber ohne die finanziellen Folgen zu bedenken, gekündigt: Wer von sich aus kündigte, ohne neuen Vertrag im Sack, wurde mit sechzig Tagen Arbeitslosengeldentzugs bestraft. In einem flammenden Brief begründete sie deshalb, warum eine Kündigung unumgänglich gewesen sei – und erhielt dreissig Tage Sperrfrist erlassen. «Deine erste Schreibarbeit mit Honorarfolgen», spöttelte ein Bekannter.
«Die erste Schreibarbeit mit Honorarfolgen ging ans RAV.»
«RETOURHAUFEN». Die Briefträgerin war nun also auf dem RAV. Mit zwiespältigem Gefühl, die Erinnerung an eine frühere, zum Glück kurze Arbeitslosigkeit war keine gute. Aber sie ermutigte sich: «Die sind da, um dir bei der Arbeitssuche zu helfen.» – Schon der erste Besuch war eine Katastrophe. Die «Beraterin» qualifizierte die Arbeitsbiographie der späteren Briefträgerin zwar als «interessant», schmiss das Dossier aber, eine Arbeitgeberin mimend, auf den, wie sie ihn nannte, «Retourhaufen» der Bewerbungsdossiers. Die Briefträgerin sei zu unqualifiziert und, wie die junge Personalvermittlerin von Manpower es später ausdrückte, «vom Alter her nicht interessant» (sollte die Briefträgerin hier lachen oder weinen? Lachen ist besser!).
Nach zwei Monaten hatte sie eine neue Stelle. Selber gefunden. Bei der Post. Die RAV-Mitarbeiterin zeigte sich überrascht: «Das hätte ich nicht gedacht! Sie verhelfen mir zu einer neuen Erfahrung!» Und: «Meine Eltern wollten auch, dass ich zur Post gehe. Aber mich hätte man niemals in eine Uniform zwängen können.» Die Briefträgerin staunte und verliess rasch, aber fröhlich den Laden, trägt seither Grau-Gelb und wünscht allen Arbeitslosen viel Glück!