Böse Blicke, böse Worte, Kritik am laufenden Band oder Ausgrenzung aus dem Team. Mobbing kann jeden und jede treffen – und macht Betroffene oft auch krank.
NICHT LUSTIG: Ständige Kritik, Scherze auf Ihre Kosten, Informationsblockade: Mobbing hat viele Gesichter. (Foto: Adobe Stock)
Mit knallrotem Kopf baut sich der Chef vor Ihnen auf: «Jetzt haben Sie schon wieder Mist gebaut!» Steuern Sie am Morgen auf Ihr Pult im Grossraumbüro zu, sagt ein Kollege zum andern: «Schau mal, unser Tiefflieger landet!» Alle haben das Mail mit der Einladung zum Teamausflug erhalten, nur Sie nicht. Werden Sie gemobbt?
Kann sein. Denn jeder dieser Vorfälle ist unschön und deutet auf eine Mobbingsituation hin. Für Mobbing im engeren Sinn braucht es aber mehr. Nach der Definition des Bundesgerichts: «Mobbing ist ein systematisches, feindliches, über einen längeren Zeitraum anhaltendes Verfahren, mit dem eine Person an ihrem Arbeitsplatz isoliert, ausgegrenzt oder gar von ihrem Arbeitsplatz entfernt werden soll.» Davon betroffen sind nach einer wissenschaftlichen Seco-Studie von 2002 gegen 8 Prozent der Mitarbeitenden. Aktuelle Umfragen, die sich aufs subjektive Empfinden abstützen, kommen auf höhere Werte: 2016 bezeichnete sich in einer Umfrage des Instituts GfK jede fünfte Person als von Mobbing betroffen, und in der Unia-Umfrage unter Lernenden von 2019 waren es sogar 30 Prozent.
Ihre Firma muss Ihnen helfen, gegen das Mobbing vorzugehen.
«BOSSING» VOM CHEF
Studien und Praxiserfahrungen von Beratungsstellen zeigen, dass niemand dagegen gefeit ist, gemobbt zu werden. Besonders gefährdet sind aber Personen, die in irgendeiner Weise anders sind. Anders kann die Hautfarbe sein, die Nationalität, die sexuelle Orientierung, der Körperwuchs, aber auch das Lebensalter (die einzige Junge unter älteren Mitarbeitenden) oder das Dienstalter (der einzige Altgediente in einem Team von Neulingen).
Und die Täterinnen und Täter? Am häufigsten mobben unsichere, schwache Führungspersonen – weil es ihnen an natürlicher Autorität mangelt oder an fachlicher Kompetenz, oder weil sie eine Person aus ihrem Team als Konkurrenz empfinden. In diesen Fällen spricht man auch von Bossing. Mobbing kommt aber auch unter Kolleginnen und Kollegen vor. In der Regel gehen die Angriffe von einer Einzelperson aus, die aber gelegentlich auch Mitläufer um sich schart.
FRÜHZEITIG GEGENSTEUERN
Meistens entwickelt sich Mobbing nicht in bestehenden Teams, sondern tritt als Folge eines Wechsels auf: einer Reorganisation, in der die Teams neu gemischt werden, eines Chefwechsels oder des Eintritts einer neuen Mitarbeiterin in ein bestehendes Team. Achten Sie in solchen Situationen auf irritierende Signale. Zum Beispiel: Die neue Chefin grüsst Sie nicht, erteilt Ihnen nur Aufträge, die unter Ihrem Niveau sind, beruft wichtige Sitzungen ausgerechnet dann ein, wenn Sie Ihren freien Tag haben. Oder ein Kollege zeigt Ihnen eine Whatsapp-Nachricht, in der sich die Chefin über Ihre etwas füllige Figur lustig macht. Cybermobbing, also Schikanen im Internet und auf Social Media, kommt auch im Arbeitsleben vor!
Machen Sie sich schon früh Notizen von Fakten und Eindrücken, die Sie als belastend empfinden, und sammeln und speichern Sie Mails und andere Dokumente. Verharren Sie nicht lange in Ihrer Opferrolle. Denn erstens gefährden Sie damit Ihre Gesundheit: Schwächegefühle, Kopfschmerzen oder Schlafprobleme sind erste Auswirkungen der seelischen Belastung. Bei längerem Mobbing entwickeln sich diese Symptome oft zu ausgewachsenen Depressionen und psychosomatischen Leiden. Und zweitens steht Ihre Firma in der Pflicht, Ihre körperliche und seelische Gesundheit am Arbeitsplatz zu schützen. Sie haben also ein Recht auf Unterstützung der Firma in Ihrer Abwehr des Mobbings.
Je nach Fall stehen Ihnen Schadenersatz oder Genugtuung zu.
SCHRITT FÜR SCHRITT
Bevor Sie sich jedoch an eine übergeordnete Stelle in der Firma wenden, suchen Sie das direkte Gespräch mit der Person, die Sie als Mobber empfinden. Es ist taktisch klüger, dabei nicht gleich von Mobbing zu sprechen, sondern anhand der dokumentierten Vorfälle aufzuzeigen, dass Sie sich schlecht behandelt fühlen. Überlegen Sie sich, welche Verhaltensänderungen Sie von der Person erwarten und was Sie selber zur Entschärfung der Situation beitragen könnten. Erst wenn das direkte Gespräch keine Besserung bringt, wenden Sie sich an die nächsthöhere Führungsebene oder an die von der Firma eingerichtete interne oder externe Fachstelle. Warten Sie auch damit nicht zu lange. Denn falls es zu einer Auseinandersetzung vor der Schlichtungsstelle oder gar vor Gericht kommt, müssen Sie belegen können, dass Sie die Firma über Ihre Situation informiert haben.
Kommen interne oder externe Fachstellen ins Spiel, ist die Situation häufig schon zu festgefahren und die Rückkehr zur Normalität bei unveränderter personeller Konstellation nicht mehr möglich. Ist die Person, die das Mobbing verschuldet, in der Firma sowieso nicht gut angesehen, wird sie möglicherweise versetzt oder sogar entlassen. Handelt es sich aber um einen Chef, der zwar als menschlich schwierig gilt, im übrigen aber gute Leistungen bringt, wird die Firma wohl an ihm festhalten – und Sie erhalten ein Versetzungsangebot oder den Ratschlag, sich nach einer neuen Stelle umzusehen.
In letzterem Fall sollten Sie sich die Unterstützung durch die Unia-Rechtshilfe sichern: Je nach Lage stehen Ihnen Schadenersatz oder eine Genugtuung zu. Ebenso gilt eine Kündigung, welche die Firma gegen ein Mobbingopfer nur ausspricht, um die Mobbingsituation aus der Welt zu schaffen, als missbräuchlich und berechtigt zu einer Entschädigung von bis zu sechs Monatslöhnen (zur Rechtslage siehe auch Text unten).
Mehr wissen: Lektüre-Tipps
Praxisnah: Mobbing am Arbeitsplatz – wie wehre ich mich, Irmtraud Bräunlich Keller, Beobachter-Edition, 2017. Die Autorin kennt das Thema aus langjähriger Beratungspraxis. Ratgeber mit Checklisten, Ratschlägen, Fallbeispielen, Gerichtsurteilen. www.shop.beobachter.ch
Generell: Mobbing und andere Belästigungen – Schutz der persönlichen Integrität am Arbeitsplatz, Staatssekretariat für Wirtschaft (Seco), 2018. Knapp gefasste Übersicht mit Empfehlungen für Firmen und Mitarbeitende. rebrand.ly/secomobbing
Mobbing und RechtDas ist Gesetz
Bei Mobbing kommen das Obligationen- und das Arbeitsrecht zum Zug. Artikel 28 OR verpflichtet den Arbeitgeber, die Persönlichkeit der Mitarbeitenden zu achten und zu schützen und auf ihre Gesundheit Rücksicht zu nehmen. Ausserdem verpflichtet das Arbeitsgesetz in Artikel 6 den Arbeitgeber, die erforderlichen Massnahmen zum Schutz der persönlichen Integrität der Mitarbeitenden vorzusehen. Daraus ergibt sich die Pflicht der Firma, Mobbing vorzubeugen, bei Mobbingsituationen einzuschreiten und den Konflikt möglichst zu entschärfen, allenfalls auch durch Beizug externer Hilfe. Lässt eine Firma Mobbing tatenlos zu, können Mobbingopfer auf Schadenersatz oder Genugtuung klagen.
In schweren Mobbingfällen ist auch eine Strafklage gegen die mobbende Person denkbar, etwa wegen übler Nachrede, Verleumdung, Drohung oder Nötigung. Zudem ist eine Zivilklage wegen Verletzung der Persönlichkeit möglich.
DISKRIMINIERUNG? Mobbinghandlungen können auch den Tatbestand der Diskriminierung, des Verstosses gegen das Gleichstellungsgesetz oder der sexuellen Belästigung erfüllen. Daraus können sich weitere rechtliche Möglichkeiten zur Abwehr und Klage ergeben. Setzen Sie ein Beschwerde- oder Gerichtsverfahren wegen Diskriminierung in Gang, gilt während des Verfahrens und sechs Monate darüber hinaus ein Kündigungsschutz.
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