Andreas Rieger
Vor einem Jahr waren die Arbeitsbedingungen in der deutschen Fleischwirtschaft der grosse Skandal. Den Metzgern aus dem Osten ging es fast noch dreckiger als den Tieren, die sie schlachteten. Eng zusammengepfercht am Arbeitsplatz und in den Schlachthöfen, waren die Arbeiter einem perfiden Ausbeutungssystem von Subunternehmen und Temporärfirmen ausgeliefert. Kein Wunder, kam es zu Massenansteckungen mit dem Coronavirus.
Doch seither geht es Schritt für Schritt vorwärts. Zuerst versprach Arbeitsminister Hubertus Heil (SPD), «in der Fleischwirtschaft aufzuräumen». Schon im Herbst landete ein griffiger Gesetzesentwurf im Parlament. Die Fleischbarone leisteten zwar Widerstand über die rechten Parteien CDU und FDP. Doch Ende 2020 wurde das Gesetz verabschiedet.
Es beinhaltet ein Verbot des Subunternehmertums im Kernbereich der Fleischindustrie. Temporärfirmen sind jetzt nur noch begrenzt zugelassen. Bereits Anfang 2021 bekamen Zehntausende Mitarbeitende Arbeitsverträge direkt von der Firma, wo sie arbeiten. Verstärkt gibt es Kontrollen von Arbeitsplätzen und Unterkünften.
Zehntausende bekommen einen höheren Mindestlohn.
MINDESTLOHN. Der zweite Erfolg geht aufs Konto der Gewerkschaft Nahrungs- und Genussmittel (NGG). Sie verstärkte ihre Präsenz in den Betrieben und forderte mehr Lohn. Als die Verhandlungen nicht vorwärtskamen, organisierte sie breitflächig Warnstreiks und andere Betriebsaktionen. Dies erstmals in der Geschichte der Branche! Das wirkte und führte zu einem Mindestlohn, der in der Branche mit 160’000 Beschäftigten gilt, sobald er von der Regierung für allgemeingültig erklärt ist. Dieser Mindestlohn liegt mehr als 10 Prozent über dem bisher geltenden gesetzlichen Mindestlohn in der Fleischindustrie.
Und nun steht der dritte Schritt nach vorne an: 2022 finden in Deutschlands Firmen die Wahlen der Betriebsräte statt. In der Vergangenheit waren diese für die Mehrheit der Leute in der Fleischverarbeitung gar nicht zuständig. Das wird jetzt anders. Positive Veränderungen bringen soll schliesslich auch ein umfassender Branchentarifvertrag. Er soll die Löhne für die verschiedenen Berufskategorien regeln, die Arbeitszeiten, die Urlaubstage usw.
KÄMPFERISCH. Vor einem Jahr zweifelten viele daran, dass man überhaupt etwas gegen das Schweinesystem in der deutschen Fleischindustrie machen könne. Aber die kleine, hartnäckige Gewerkschaft NGG kämpfte trotzdem. Mit Erfolg.
Andreas Rieger war Co-Präsident der Unia. Er ist in der europäischen Gewerkschaftsbewegung aktiv.