Katrin Bärtschi ist Briefträgerin in Bern und Gewerkschafterin.
«Jetzt wird gerechnet.» Unter diesem Motto bietet das Bildungsinstitut der Gewerkschaften, Movendo, einen «Rentenplanungskurs» an. Die Briefträgerin ergatterte einen Platz in Olten.
Der Kursleiter war in seinem Element: etwas Politik, etwas Hintergrund, vor allem aber «die Logik hinter der schweizerischen Altersvorsorge». 1., 2. und 3. Säule. Bald legten sich die Stirnen vor allem der Kursteilnehmenden mit kleinem Einkommen oder wilder Arbeitsbiographie in Falten. Unter ihnen war leider auch eine dauerkommentierende Plappertante, die sich sogar erdreistete, Fragen zu beantworten, die an den Kursleiter gerichtet waren. Ein Antrag der Briefträgerin auf Mässigung blieb weitgehend folgenlos. Guter Kaffee, feines Essen, viel Rechnen und ökonomische Zusammenhänge prägten ansonsten den Tag. Und des Kursleiters Hinweis: «Wählt eure Vertreterinnen und Vertreter in die Stiftungsräte der Pensionskassen, so bestimmt ihr mit!»
Mit rauchenden Köpfen verliessen die Kursteilnehmenden nach fünf das Veranstaltungslokal, wechselten ein paar Worte und zerstreuten sich in alle Winde.
«Radikal denken ist erlaubt, ja notwendig.»
UND DIE JUNGEN? Von ihrem Sitz auf der Treppe des platschvollen Zuges aus sah die Briefträgerin Baumwipfel und Wolken vorüberfliegen. Im Gang zwischen Türen und WC palaverten drei Schüler in kurzen Hosen über die Hausaufgaben. «Ich brauche ein Thema, in das ich mich voll investieren kann – dann sind schon zwanzig Prozent der Arbeit getan.» – «Ja!» bestätigte ein anderer, «sonst weisst du ja nicht, was schreiben.» In einer Ecke bei einem Fenster sass eine weitere junge Gestalt. Mann oder Frau? Mütze bis über die Ohren, in einen Faserpelz gehüllt, Kopfhörer auf und in die Lektüre eines Insel-Taschenbuches vertieft. Wie wird das Alter dieser Jungen sein? Wird es endlich eine Volkskasse geben, die die Bedürfnisse aller deckt? Werden die Reichen endlich so viel abgeben müssen, dass alle ein gutes Leben haben? Radikal denken ist erlaubt, ja notwendig.