Katrin Bärtschi ist Briefträgerin in Bern und Gewerkschafterin.
Es war einfach nur mühsam. Den ganzen Frühling und Vorsommer hindurch nur einmal Regen. Dann eine kurze Aufhellung, und schon wieder wurde das Wetter grau und nass und kalt.
Der Tag hatte schön angefangen. Aber im Stollen ein Gemunkel, es könnte auch heute wieder abladen. Die Tour begann trocken. Doch dann wurde der Morgen dunkel und dunkler, finster sogar, und Knall auf Fall ging’s los. Mit Hagel, Blitz und Donner. Es war einfach nur mühsam. Die Blachen über dem Anhänger und den DXP-Schalen waren nicht optimal dicht. Und bei der Ausrüstung des Fahrzeugs, das sie heute fuhr, fehlte die gelochte Fussmatte, die bei Regen als Sitzunterlage dient und verhindert, dass die Zustellerinnen und Zusteller im Nassen hocken.
Die Briefträgerin wartete unter einem Vordach, bis das Ärgste vorüber war. Vis-à-vis schaute ein kleines Kind durch ein Fenster zu ihr herüber und winkte. Die Briefträgerin winkte zurück.
Dann ging’s los mit Hagel, Blitz und Donner. Es war einfach nur mühsam.
WO WOHNE ICH? Die nassen Haare und die nicht ganz undurchlässige Kleidung waren das kleinere Problem. Das grössere: Wie die Post schützen? Wie sie einigermassen unversehrt und trocken in die Kästen bringen, gerade dort, wo die Kastenanlagen im Freien stehen? Als der Regen schwächer geworden war, setzte die Briefträgerin ihre Tour fort.
Ein Betrunkener ohne jeden Regenschutz wankte ihr entgegen, torkelte vorüber, besann sich nach etwa zehn Schritten und rief etwas Unverständliches in ihre Richtung. Sie ging zurück und auf ihn zu. In gebrochenem Deutsch lallte er einen Satz, der anscheinend ausdrücken sollte, dass er den Weg zu seiner Wohnung nicht mehr finde. Die Briefträgerin erkundigte sich geduldig nach seiner Adresse. Er überlegte eine Weile und stiess dann etwas hervor, das wohl ein Strassenname sein sollte. Allerdings hatte die Briefträgerin nie von einer solchen Strasse gehört. Das sagte sie dem Mann, worauf er schimpfend davonzog.
Es goss wieder in Strömen.