Gewerkschafter Andrea Pace (54) und sein Peter (57) haben miteinander ihr Glück gefunden. Das wünschen sie sich auch für andere homosexuelle Paare. Nun hoffen sie auf ein Ja zur «Ehe für alle» am 26. September.
GLÜCKLICHES PAAR: Für Peter (links) und Andrea ist die Gleichstellung von Lesben und Schwulen noch immer ein Kampf. (Foto: Nicolas Zonvi)
Es war Liebe auf den ersten Blick, als sich Andrea und Peter zum ersten Mal begegneten. 13 Jahre ist das her, aber Peter weiss es noch genau: «Vom ersten Tag an war ich dir», sagt er und schaut liebevoll zu seinem Partner, der neben ihm sitzt. Sanfter Jazz läuft im Hintergrund, die Vormittagssonne scheint auf die üppig bepflanzte Terrasse. Rosen, Palmen, Lilien: Ein Hauch von Paradies, am äussersten Rand des Zürcher Unterlands.
STEINIGER WEG
Seinen genauen Wohnort möchte das Paar nicht in der Zeitung lesen, genauso wenig wie Peters Nachnamen. Er arbeitet als Zugbegleiter bei den SBB und sagt: «Da bin ich sehr exponiert und auch angeschrieben.» Gerade jetzt, in der Coronazeit, sei das heikel. «Ich merke: Die Zündschnur ist bei vielen sehr kurz.» Da als Homosexueller erkannt zu werden ist riskant, denn: «Leider kommt es auch in der Schweiz immer wieder zu Übergriffen.» Im Mai etwa wurde in Zürich ein 20jähriger im Tram zusammengeschlagen, weil er schwul sei. Bis dahin hatte die Stadtpolizei seit Jahresbeginn schon rund zwei Dutzend Angriffe registriert. Und wiederholt kommt es in den letzten Wochen in der ganzen Schweiz zu Vandaleakten gegen Plakate und Fahnen, die für die «Ehe für alle» werben (siehe Box unten).
Trotzdem: Aus ihrer Liebe ein Geheimnis machen, das kommt für Andrea und Peter nicht in Frage. «Unsere Arbeitskolleginnen und -kollegen zum Beispiel wissen alle Bescheid, einige kennen Peter sogar», erzählt Andrea. Auch er ist bei den SBB angestellt, arbeitet in der Betriebszentrale am Zürcher Flughafen. Daneben ist er aktiver Gewerkschafter beim SEV.
Gefunden hat sich das Bähnler-Paar aber nicht im Job, denn Peter ist erst über Andrea zu den SBB gekommen. Sondern bei der HAZ, einem Treffpunkt für die Regenbogen-Community in Zürich. Lesben, Schwule, Bisexuelle und Transmenschen treffen sich hier.
AN DIE URNE. Am 26. September wird über die «Ehe für alle» abgestimmt. (Foto: ZVG)
2008 gibt es eine Gruppe für homosexuelle Väter. Peter ist da, Andrea auch. Beide stehen am Anfang ihres Coming-outs, sind noch verheiratet. Und merken schnell: Sie haben auch sonst viel gemeinsam. «Wir führten beide 18 Jahre lang eine Ehe mit Frauen, die Sternzeichen Waage sind. Wir haben beide zwei Kinder, jeweils im gleichen Alter», erzählt Peter. Beide hätten sie ausserdem Trompete gelernt. «Und», ergänzt Autoliebhaber Andrea lachend, «beide fuhren wir ein grünes Auto!» Peter einen grünen Golf, Andrea einen grünen Alfa.
Ab da nimmt die Liebesgeschichte Fahrt auf. Zusammen finden die beiden Männer ihr Glück. Doch der Preis dafür ist hoch. Vor allem für Andrea. Mit seinem Outing verliert er alles, was er sich bis dahin aufgebaut hat. Nur weil er schwul ist und nicht hetero. Er erinnert sich: «Von dem Moment an, in dem ich meinen Liebsten und Engsten gesagt habe, dass ich Männer liebe, habe ich gespürt: Ich habe keine Unterstützung mehr. Meine besten Freunde haben mich verlassen. Mein Vater und meine Schwester haben sich abgewandt. Meine Frau hat mich rausgeworfen.»
Natürlich verstehe er, dass sie verletzt gewesen sei, aber: «Ich hätte gerne mit ihr gemeinsam einen Weg gefunden.» Doch das gelingt nicht. Es folgt ein langjähriger Rosenkrieg, Gespräche sind nicht mehr möglich. Und auch Schwester und Vater halten bis heute Abstand: «Die ersten zehn Jahre haben wir nur ein paarmal telefoniert», sagt Andrea.
Rückblickend ist für ihn klar: «Hätte ich gewusst, was alles auf mich zukommt: Ich glaube, ich hätte den Mut nicht gehabt, diesen Schritt zu machen.» Aber er weiss auch: «Noch länger meine Gefühle unterdrücken und mich selber verleugnen: das hätte ich nicht überlebt.»
«Wir nehmen ja niemandem etwas weg. Wir wollen einfach die gleichen Rechte wie Heteros.»
LÄNGST ÜBERFÄLLIG
Andreas einziger Halt in dieser Zeit ist Peter. Bei ihm läuft das Coming-out besser. Natürlich habe es auch in seiner Familie etwas Zeit gebraucht, aber: «Heute ist meine Ex-Frau unsere beste Freundin.» Sie kommt zum Essen vorbei, passt auf die Wohnung auf, wenn das Paar auf Reisen ist. Sogar gemeinsame Ferien gibt es. Peter sagt: «Sie hat mich nicht verloren. Sondern jemand weiteren dazugewonnen! Gäll, Schatz?» Er lächelt zu Andrea.
Und auch die vier Kinder halten zu ihren Vätern: Andreas Töchter und Peters Söhne. Mittlerweile sind sie erwachsen, 26 und 24 Jahre alt. Doch die aktuelle Diskussion darum, ob gleichgeschlechtliche Paare Kinder haben sollen, lässt das Liebespaar nicht kalt. «Es würde mir richtig fehlen, keine Kinder zu haben», sagt Andrea. Für ihn ist klar: «Ich will, dass andere schwule Paare diese Möglichkeit haben.» Dass eine Familie nur aus Frau und Mann bestehen soll, versteht er nicht. Schliesslich würde die Hälfte der Ehen geschieden, und: «Es kann mir niemand erzählen: Die perfekte Ehe, das sind Mann und Frau und da ist alles wunderbar. Das ist einfach nicht die Realität!» Wichtiger als das Geschlecht der Eltern sei, dass sich ein Kind geliebt fühle. Und dass sich die Eltern ihrer Verantwortung bewusst seien. Gerade da ist sich Peter sicher: «Wenn ein Homopaar eine Familie gründet, ist das immer ein reifer Entscheid. Weil es für sie auf diesem Weg sehr viele Hürden gibt – rechtlicher Natur, aber auch, was die gesellschaftliche Akzeptanz betrifft. Diese Hürden haben Heteros schlichtweg nicht.»
Und auch wenn die beiden überzeugt sind, dass sich die Gesellschaft in den vergangenen Jahren gewandelt und geöffnet hat: Die kommende Abstimmung um die «Ehe für alle» zeigt auch, dass die Gleichstellung von Lesben und Schwulen noch immer ein Kampf ist. «Dabei nehmen wir ja niemandem etwas weg», sagt Andrea. «Wir wollen einfach die gleichen Rechte wie Heteros.»
Und werden sie Ja sagen, wenn das Volk am 26. September Ja sagt? Peter wiegt ab: «Es gibt in der Schweiz ja auch noch die Heiratsstrafe. Verheiratete bekommen weniger Rente als Ledige.» Für ihn, der viele Jobs und nicht immer eine zweite Säule hatte, wäre das ein Problem. Aber: «Ich glaube, dieses Thema wird die Politik als nächstes angehen. Und dann werden wir uns das mit der Ehe überlegen.» Andrea lächelt: «Ich würde sofort Ja sagen!»
«Ja» zur Ehe für alle!
Eigentlich war das Thema gegessen: Das Parlament hatte letzten Dezember nach jahrelanger Diskussion beschlossen, dass auch homosexuelle Paare künftig heiraten dürfen. Dann lancierten Teile der SVP und der EDU das Referendum. Gleiche Rechte für alle: das passt den Reaktionärinnen und Reaktionären nicht.
KEIN ZWANGSOUTING MEHR. Denn auch wenn es für gleichgeschlechtliche Paare heute die eingetragene Partnerschaft gibt: einige Rechte sind nur Verheirateten vorbehalten. Neben Versicherungs- und Erbfragen geht es dabei um vereinfachte Einbürgerung, die gemeinsame Adoption eines Kindes oder den Zugang zur Fortpflanzungsmedizin.
Ein breites Bündnis von Schwulen- und Lesbenverbänden, bürgerlichen bis linken Parteien sowie Menschenrechtsorganisationen mobilisiert deshalb für ein Ja am 26. September. Darunter der Schweizerische Gewerkschaftsbund (SGB). Denn: Die Ehe ist auch arbeitsrechtlich relevant. So haben Verheiratete etwa Anrecht auf gemeinsame Ferien- und Freizeiten. Und heute ist die Angabe des Zivilstands («in eingetragener Partnerschaft») bei Bewerbungen mit einem Zwangsouting verbunden.