Gewerkschaften haben historisch ein zwiespältiges Verhältnis zum Umweltschutz. Doch ohne Werktätige gibt es keine ökologische Wende. Das zeigt Historiker Milo Probst in seinem neuen Buch.
Wüstenlandschaft: Historiker Milo Probst vor dem vertrockneten Sihlsee bei Euthal SZ. (Foto: Keystone)
Anstatt kulinarisch zu experimentieren oder den Keller zu entrümpeln, schrieb Milo Probst im Corona-Lockdown kurzerhand ein Buch. Ein Schnellschuss ist das Erstlingswerk des 30jährigen aber nicht. Seit Jahren forscht der Doktorand zur Geschichte des Umweltschutzes und jener der Arbeiterbewegung. Aber nicht aus der Warte des universitären Elfenbeinturms, denn Probst ist selbst aktiv in der Klimabewegung. Er kennt die akuten politischen Herausforderungen aus nächster Nähe.
Es gibt keinen «grünen» Kapitalismus.
DOPPELTES SCHEITERN
Davon zeugt sein Buch, in dem er gleich zu Beginn eine weitherum geschürte Hoffnung zerpflückt. Nämlich, dass sich der Kapitalismus auf «Grün» trimmen lasse. Für Probst eine Illusion. Denn aufgrund des Konkurrenzprinzips sei letztlich jede Firma bei Strafe ihres Untergangs dazu gezwungen, die Profitmaximierung im Zweifel höher zu gewichten als eine intakte Umwelt. Hier sieht der Historiker eine Parallele zum Schicksal der Lohnabhängigen. Auch ihre Interessen – etwa Gesundheit, faire Arbeitszeiten, guter Lohn – stünden im kapitalistischen Wettbewerb zwangsläufig in schroffem Gegensatz zu den Interessen des Kapitals. Wenn also hinter der Ausbeutung von Mensch und Natur derselbe Mechanismus steckt, dann liegt die Interessengemeinschaft von Umwelt- und Gewerkschaftsbewegung auf der Hand, würde man meinen. Leider Fehlanzeige, weiss Historiker Probst. Objektiv habe die arbeitende Klasse zwar durchaus ein besonderes Interesse am Umwelt- und Klimaschutz.
Denn je ärmer jemand sei, desto härter treffe sie oder ihn die Naturzerstörung. Trotzdem habe sich dieses objektive Interesse in der Praxis längst nicht immer durchgesetzt. Oft sei es sogar genau andersrum gewesen. Dass also Arbeiterinnen und Arbeiter sich gegen ökologische Anliegen gewehrt hätten. Als Beispiel nennt Probst die deutsche Bergbaugewerkschaft IG BCE. Diese unterstützt bis heute die Ausweitung der Braunkohlereviere und giftelt gegen die Klimabewegung. Dass dahinter die berechtigte Angst vor Arbeitslosigkeit steht, blendet Probst nicht aus. Im Gegenteil: Nur wenn Umweltschutz als eine soziale Frage betrachtet würde, liesse sich ein neues «Wir» entdecken. Doch genau in diesem Punkt ortet Probst Defizite, historisch gesehen sogar ein «doppeltes Scheitern»:
Umweltschutz sei nämlich lange ein elitäres Unterfangen gewesen, das die breite Masse am liebsten von der Natur habe fernhalten wollen. Zugleich hätten Industriegewerkschaften teils noch immer keinen Ausweg aus ihrem historischen Dilemma gefunden: Ihre Forderungen würden eine stetig wachsende Wirtschaft voraussetzen. Gleichzeitig sei es gerade der kapitalistische Wachstumszwang, der zu ökologischen Katastrophen führe. Und darunter leide wiederum die wirtschaftlich schwache Bevölkerung am meisten.
ALLIANZEN SCHMIEDEN
Probst schlägt deshalb eine grundsätzliche Neuorientierung vor, einen «Umweltschutz der 99 Prozent». Dabei dürfe Umweltschutz nicht mehr als isoliertes Anliegen verstanden werden, sondern als Teil eines thematisch breiten und globalen Fortschrittsstrebens. Denn die Aufgabe der Gegenwart sei klar: «Es geht darum, alles zu verändern.» Umweltschutz müsse sich demnach mit Kämpfen für Gesundheit, für würdige Arbeit oder für Frauenrechte verbünden – ebenso mit Initiativen gegen Rassismus und Kolonialismus. Denn jeder dieser Teilbereiche sei unmittelbar mit den anderen verknüpft. Wie aber sollen etwa ein Automobilfabrikarbeiter und eine junge Ökoaktivistin Verbündete werden? Sind solche Allianzen nicht einfach Wunschdenken eines Klimabewegten? Kaum, denn Probst beschreibt eine ganze Reihe ähnlich unerwarteter Bündnisse aus der Geschichte der Arbeiterbewegung. Sie machen sein Buch besonders lesenswert – und zu einer Quelle der Inspiration.
Milo Probst: Für einen Umweltschutz der 99%, Nautilus-Verlag, Hamburg 2021, 198 Seiten, ca. CHF 25.–.
Ich habe die ISBN des Buches nicht im Artikel gefunden (oder dann ist sie zu gut versteckt).
Sie lautet: 978-3-96054-266-7