Mit einer millionenschweren Kampagne und Fake News haben Konzerne und Superreiche die Abstimmung über die 99-Prozent-Initiative gewonnen. Jetzt haben sie schon ein weiteres Steuergeschenk bekommen.
WAS FÜR EIN HUNDELEBEN! Gehätscheltes Tierchen in St. Moritz. (Foto: Keystone)
Knapp eine Million der Abstimmenden (35,1 Prozent) wollten, dass Superreiche wenigstens ein bisschen mehr Steuern bezahlen müssen. Nicht für ihr Arbeitseinkommen, sondern auf ihren Kapitaleinkünften. Schliesslich arbeitet Geld nicht. Nie. Renditen auf Kapital sind im wesentlichen nichts anderes als den Arbeitenden vorenthaltene Löhne und nicht bezahlte Sozial- und Umweltkosten der Produktion.
Diese zentrale ökonomische Erkenntnis haben die Juso mit ihrer Initiative wieder in ein breiteres Bewusstsein gebracht. Wie nervös diese Debatte die Super- und Bestverdienenden macht, zeigt die enorme Summe, die ihre Verbände und Parteien von SVP bis zu den rechten Grünen von der GLP in den Abstimmungskampf pumpten. Es war so viel, dass es gar ihrem Leib- und Magenblatt NZZ fast ein bisschen übertrieben erschien.
Maurers Wunschzettel für Steuergeschenke an Vermögende umfasst 16 Punkte.
UND WEITER GEHT’S
In den vergangenen Jahrzehnten sanken die Steuern für Konzerne und Bestverdienende auf allen Staatsstufen massiv. Die Steuersätze für Normalverdienende stagnierten. Gering- und Mittelverdienende ächzen im Gegenzug unter explodierenden Krankenkassen-Prämien (siehe Box). Und sie leiden unter den Sparmassnahmen bei Prämienverbilligungen, Bildung und Gesundheitswesen. Diese sind die direkte Folge der rechten Steuersenkungspolitik zugunsten der Reichen und Superreichen. Und während die Reichsten selbst in der Coronakrise noch um Milliarden reicher wurden, mussten Hunderttausende in Kurzarbeit mit 80 Prozent ihres Lohnes über die Runden kommen.
Trotzdem ist die Gier der Konzerne und der Superreichen noch längst nicht gestillt. Im Gegenteil. Ihre Parteien schieben Steuergeschenk um Steuergeschenk auf die Schiene. Ein paar Beispiele und ihre Kosten:
- Verrechnungssteuer: In der Woche nach der Abstimmung beschloss der Nationalrat die Abschaffung der Verrechnungssteuer. Nicht etwa auf den (wenn überhaupt noch vorhandenen) mickrigen Zinsen für Lohn- und Sparkonti, sondern für Obligationäre nen und Obligationärinnen. Die erhalten bisher ihre Kapitaleinnahmen mit einem Abzug ausbezahlt, damit sie diese Einnahmen auch bei der Steuererklärung nicht «vergessen». Und bekommen sie dann zurückerstattet. Die Mehrheit des Nationalrats will das jetzt ändern und ein neues Schlupfloch für vermögende Steuerhinterziehende schaffen. Schaden für die Allgemeinheit: mindestens 1 Milliarde Franken einmalig und dann mindestens 170 Millionen pro Jahr.
- Emissionsabgabe: Hier hat das Parlament die Abschaffung bereits beschlossen. Davon würden ausschliesslich Konzerne und Superreiche profitieren. Kleine und mittlere Unternehmen nicht. Denn schon jetzt gilt ein Freibetrag von 1 Million Franken für Neugründungen und Kapitalerhöhungen. Schaden für die Allgemeinheit: mindestens 250 Millionen Franken pro Jahr. Das Referendum der Gewerkschaften und der fortschrittlichen Parteien gegen diesen Stempelsteuer-Beschiss steht.
- Abschaffung aller Stempelabgaben: Der Bund kennt drei Arten von Stempelabgaben: neben der Emissionsabgabe (siehe oben) auch die Umsatzabgabe auf Wertpapieren und die Abgabe auf Versicherungsprämien. Auch diese wollen die Rechten abschaffen. Schaden für die Allgemeinheit: mindestens 2 Milliarden Franken pro Jahr.
- Industriezölle: Ebenfalls weg sollen die Industriezölle. Das hat die bürgerliche Mehrheit des Nationalrats beschlossen. Schaden für die Allgemeinheit: mindestens 500 Millionen Franken pro Jahr.
UND NOCH WEITER GEHT’S
Doch das ist noch längst nicht alles, was die Finanzindustrie, die Konzerne und die Superreichen gern hätte. Das Finanzdepartement von SVP-Bundesrat Ueli Maurer hat willfährig ihren Wunschzettel geschrieben. Der umfasst 16 Punkte – alles Steuergeschenke an Kapitalbesitzende und Vermögende. Der Schaden für die Allgemeinheit ist noch nicht berechnet.
Auch in den kommenden Monaten und Jahren werden Gewerkschaften und fortschrittliche Parteien gefordert sein, mit Referenden und Initiativen. Die 99-Prozent-Initiative war nicht das Ende der Gerechtigkeitsdebatte in diesem Land.
Krankenkassen: Prämien-Lichtblick reicht nicht
Zum ersten Mal seit 14 Jahren sinken die Krankenkassen-Prämien: um 0,2 Prozent. Das ist aber nur ein Tröpfchen auf die glühende Herdplatte. Denn die Ausgaben für die Krankenkasse sprengen seit Jahren die Budgets der Gering- und Mittelverdienenden. Weil sie auf dem unsozialen Kopfprämien-System basieren. Das heisst: Die Verkäuferin bezahlt gleich viel wie die Milliarden-Erbin.
Initiative. Für viele Haushalte liegt die Prämienbelastung gemessen am verfügbaren Einkommen unterdessen bei 20 Prozent und mehr. Das ist untragbar. Abhilfe schaffen will die von den Gewerkschaften mitgetragene Entlastungsinitiative der SP. Sie fordert, dass die Prämienbelastung der Haushalte auf maximal 10 Prozent beschränkt wird.