Patricia D’Incau twittert, postet und kommentiert für die Zeitung work. Ihr Ziel: die Geschichten, Reportagen und Portraits in der Onlinewelt verbreiten. Wer denkt, das sei eine nette Nebenbeschäftigung, irrt sich.
WORK IM NETZ: Patricia D’Incau ist das Gesicht hinter den Tweets und Posts der work-Zeitung. (Fotos: Yoshiko Kusano)
Die Vergangenheit der work-Zeitung stapelt sich auf einem grauen Möbel im Redaktionsbüro in Bern. 20 prallvolle rote Ordner. Jede einzelne Ausgabe der vergangenen 20 Jahre fein säuberlich abgelegt und archiviert. Verblasste Erinnerungen auf vergilbten Blättern. Die Zukunft hingegen sitzt jung und hellwach am Pausentisch und trinkt Kaffee. Patricia D’Incau ist 31 Jahre alt, Redaktorin und für die digitale Welt von work zuständig.
Vor einem Jahr hat sich die Redaktion entschieden, die Präsenz der Zeitung auf Instagram, Twitter & Co. auszubauen. Patricia D’Incau kniete sich rein, bildete sich weiter und bespielte Anfang 2021 erstmals Instagram mit Geschichten über Lohndumping, Frauenstreik und Pflegerinnen-Not. Heute tummeln sich im Kanal über 500 Follower. Auf Twitter sind es 600. Bei Facebook über 1700. «Es braucht Zeit, eine Community aufzubauen. Aber mittlerweile haben wir eine solide Basis», erzählt die gebürtige Berner Oberländerin.
VIEL ARBEIT. Hier etwas posten, dort ein wenig twittern oder eine Frage beantworten: Was nach Spass und lockerer Arbeit tönt, ist in Wirklichkeit ein knochenharter Job. D’Incau: «Die sozialen Medien sind eine wahre Zeitfressmaschine.» Ein Beitrag für alle drei Plattformen? Denkste! Auf Twitter beispielsweise stolzieren viele Selbstdarstellende. Oft Politikerinnen und Journalisten. Da ziehen andere Themen als bei Instagram, wo einzig das Bild zählt und keine Verlinkungen gemacht werden können. Facebook ist zwar einfacher zu bedienen, aber immer mehr Leute löschen ihr Profil oder sind nicht mehr aktiv.
Diese Eigenheiten der Onlinewelt mit der Printwelt zu verbinden – das findet Patricia D’Incau spannend. «Wir machen eine Zeitung. Doch wie können wir diese spannenden Geschichten online verkaufen?»
Damit beschäftigt sie sich jeden Tag. Denn längst nicht alles, was auf einer Zeitungsseite funktioniert, passt auch in einen Post. Diese Brüche fordern die Bernerin heraus. Manchmal hat sie den Text und das Bild in einer halben Stunde bereit. Manchmal sitzt sie einen halben Vormittag daran, spielt mit den Wörtern und kämpft mit der begrenzten Zeichenzahl.
Bereits als Kind faszinierten Patricia D’Incau Buchstaben mehr als Zahlen. Sie verschlang Bücher. Eines nach dem anderen. Nach der Handelsschule landete sie bei der SAJV, dem Dachverband der Jugendorganisationen. Sie bildete sich in Kommunikation und Journalismus weiter und wurde zum Sprachrohr von 500’000 Kindern und Jugendlichen. Nebenher schrieb sie. Nach einem kurzen Abstecher nach Deutschland wechselte sie vor vier Jahren zur work-Zeitung. Und blieb. «Die Arbeit passt perfekt zu meinem Alltag: Ich hänge extrem viel am Handy», sagt sie und lacht.
OFT ONLINE. Bereits vor dem ersten Kaffee checkt Patricia D’Incau am Morgen die sozialen Medien, schaut, ob eine Reaktion nötig ist, und sucht mögliche Ideen für Beiträge. Lust auf digitalen Detox? Fehlanzeige. «Ich bin relativ schmerzfrei, was meinen Konsum der sozialen Medien anbelangt.»
Nicht alles gefällt ihr, was ihr geübter Blick in den unzähligen Onlinestunden scannt. Oft stört sie sich über den Umgangston. Ist befremdet über die Rücksichtslosigkeit. Vor allem beim Thema Corona. Da scheinen alle Schranken zu fallen. «Die Kommentare sind teilweise unterirdisch.» Von persönlichen Beleidigungen bis hin zu absurden Theorien ist alles dabei. Was unter die Gürtellinie geht, löscht sie. Anderes kommentiert sie. Manchmal von ihrem privaten Account aus. Oft reagiert sie gar nicht. «Don’t feed the Trolls. Gib den Hetzern keine zusätzliche Plattform», ist eine der Strategien, die sie sich im vergangenen Jahr angeeignet hat.
BILDSCHIRM-WORKERIN: Posts schreiben, Reaktionen checken, beantworten … Alltagsarbeit für Digital-Redaktorin Patricia D’Incau.
NÄCHSTER SCHRITT. Eine weitere Strategie ist das Freuen an konstruktiver Kritik. An Likes und freundlichen Kommentaren. Wie beim Video eines tanzenden Bauarbeiters, das sie kürzlich produzierte. Eine besondere Premiere für die Redaktorin, die erstmals ein Video selber filmte und schnitt. «An Bewegtbildern kommt man in der Onlinewelt nicht vorbei. Leute lieben das passive Gucken. Und uns als Redaktion eröffnet es ganz neue Welten!» Deshalb steht ihre nächste Weiterbildung bereits fest: Einen Videokurs will sie besuchen.
Trotz dem digitalen Alltag hängt sie an der Printausgabe der Zeitung. Es sei ein ganz anderes Gefühl, eine ganz andere Qualität, eine Zeitung in den Händen zu halten. Ob sich in 20 Jahren weitere 20 Ordner, gefüllt mit Printausgaben, in der Redaktion türmen werden, sei schwierig zu sagen. «Ich hoffe es! Es hängt aber sehr davon ab, wie die Menschen künftig kommunizieren werden.» In einem ist sich Patricia D’Incau aber sicher: «Das geschriebene Wort stirbt nicht aus!»
Patricia D’Incau Aus den Bergen in die Stadt
Patricia D’Incau lebt und arbeitet in Bern. Aufgewachsen ist sie aber im beschaulichen Boltigen, weit hinten im Simmental im Berner Oberland, gemeinsam mit Schwester, Eltern und Grosseltern. Ihre Wurzeln liegen weiter südlich: Ihr Urgrossvater wanderte vor dem Ersten Weltkrieg von Italien in die Schweiz ein. Seine Sprache beherrscht sie leider nicht. Dafür stammt ihr Nachname noch aus dem Land, wo die Zitronen blühn.