Auf Jahresende tritt im Tessin endlich ein Mindestlohn in Kraft. Doch einige Firmen wollen diesen umgehen – mit freundlichen Handlangerdiensten der Lega.
NEO-GEWERKSCHAFTER: Lega-Politiker Boris Bignasca. Hier mit SVP-Übervater Christoph Blocher. (Foto: Keystone)
Seit Jahren leidet das Tessin unter dem tiefsten Lohnniveau der Schweiz. Kein Wunder, sagte die Stimmbevölkerung Ja zur kantonalen Mindestlohninitiative der Grünen. Das war 2015. Auf den 1. Dezember tritt nun endlich eine erste gesetzliche Lohnuntergrenze in Kraft. Sie beträgt vorerst 19 Franken pro Stunde.
Das ergibt zwar alles andere als ein königliches Salär. Doch manchen Chefinnen und Chefs geht selbst der tiefste aller Schweizer Mindestlöhne zu weit. Drei grosse Industriefirmen versuchen jetzt sogar, das Volksverdikt zu sabotieren – namentlich Cebi Micromotors in Stabio, Plastifil in Mendrisio und Ligo Electric in Ligornetto. Für ihr Manöver nutzen sie eine Gesetzesschwäche, vor der die Unia schon immer gewarnt hat: Für Arbeitende, deren Lohn in einem Gesamtarbeitsvertrag (GAV) geregelt ist, gilt der Mindestlohn nicht. Heisst: Sie dürfen auch fortan zu unwürdigen Tiefstlöhnen angestellt werden. Das ist, was die drei Firmen wollen. Dumm nur, dass sie sich stets geweigert haben, mit den Mitarbeitenden und ihren Gewerkschaften einen anständigen GAV zu verhandeln. Nun aber brauchten die drei Firmen plötzlich ganz dringend einen Vertrag. Hierfür schlossen sie sich kurzerhand in einer neuen Arbeitgebervereinigung zusammen. Diese heisst «Ticino Manufacturing» und wird unterstützt von der mächtigen Partei der Ultrarechten, der Lega dei Ticinesi. Die hat ihrerseits mit «Tisin» eine neue «Gewerkschaft» ins Leben gerufen. Und was für eine!
Tisin hat einen Organisationsgrad von 0,39 Prozent.
DREIERGESPANN DIKTIERT
Das Stimmrecht ist «exklusiv den Gründungsmitgliedern vorbehalten». Das Kommando haben demnach einzig und allein Boris Bignasca (34), seinerseits Lega-Politiker und Erbe des väterlichen Firmenimperiums, die Lega-Anwältin Sabrina Aldi (36) sowie Nando Ceruso (74), einst Vizechef der christlichen Arbeitnehmervereinigung OCST. Da Tisin im Februar Einsitz in sieben paritätische Kommissionen verlangte, musste sie Mitgliederzahlen offenlegen: In sieben Branchen mit total 10 824 Arbeitenden hat die selbsternannte Gewerkschaft gerade mal 48 Mitglieder, also einen Organisationsgrad von 0,39 Prozent. Für die Neo-Sozialpartner genug für einen ersten Streich: Am 1. September unterzeichneten sie einen regelrechten Dumping-GAV mit 16-Franken-Stundenlöhnen und diversen Verschlechterungen der bestehenden Arbeitsbedingungen. Ob das den Arbeitenden passt, wurden diese nie gefragt. Für den Unia-Regionalsekretär Giangiorgio Gargantini ist deshalb klar: «Die angebliche Volkspartei zeigt jetzt ihr wahres Gesicht. Sie kollaboriert mit jenen Chefs, die ihre Mitarbeitenden zu Bedingungen ausbeuten, die sogar unsere Verfassung für unwürdig hält.» Die Tessiner Lohnabhängigen würden das aber nicht tolerieren. Auf den 9. Oktober werde bereits zu einer grossen Anti-Lega-Demo nach Mendrisio aufgerufen.