Echter Kunde oder Testkaufkunde? Fast alle Detailhändler schicken ihren Mitarbeitenden «Mystery Shopper» auf den Hals. Häufig ohne Ankündigung!
TEST-KUNDEN: 11 von 15 Schweizer Detailhändlern spionieren ihre Verkäuferinnen und Verkäufer aus. (Foto: Keystone)
Fust-Verkäufer K. aus Zürich zeichnet sich durch eine «äusserst angenehme und zuvorkommende Beratung» aus. Und sein Kollege Ö. aus Kreuzlingen hat «eine Prämie für seine Leistung verdient». Diese Benotungen der Fust-Mitarbeitenden sind auf der Fust-Website einsehbar. Sie stammen nicht von ihren Vorgesetzten, sondern von Kundinnen und Kunden.
Auch Coop spannt die Kundschaft ein, um den Mitarbeitenden Noten zu geben. Etwa punkto Freundlichkeit. Verkäuferin Maria Weibel* musste sich wegen solcher negativer Kommentare kürzlich unangenehme Fragen von ihrem Chef anhören (siehe Text unten).
Doch was bisher kaum bekannt ist: Nicht nur die Kundschaft gibt Noten. Bei fast allen Firmen im Detailhandel sammelt mittlerweile ein Heer von «Testkaufpersonen» Informationen über die Verkäuferinnen und Verkäufer.
Beim Ausspionieren spielen die Firmen gerne Versteckis.
FIESE SCHNÜFFLER-TRICKS
«Mystery Shopping» heisst die Methode: Eine Person gibt sich als normale Kundschaft aus, rapportiert aber alles den Vorgesetzten. Trug die Verkäuferin das Namensschild? War sie freundlich? Fragte sie nach der Kundenkarte? Hat sie den 25-Prozent-Rabattkleber auf dem Fleischkäse bemerkt?
Dabei bedienen sich die Schnüfflerinnen und Schnüffler durchaus auch fieser Tricks. Aldi-Verkäuferin Sandra Ruf * hat’s erlebt: «Jemand kommt mit einer Kiste Wein an die Kasse. Aber ein paar von den sechs Flaschen sind von einer anderen, teureren Sorte. Wenn wir das nicht bemerken, gibt’s ein Gespräch mit dem Filialleiter.»
11 von 15 Detailhandelsketten in der Schweiz setzen heute Mystery Shopper ein oder haben dies in letzter Zeit getan. Darunter Coop, Denner, Aldi, Lidl, Ikea, Interdiscount und Fust. Sowie die beiden Telecomunternehmen Swisscom und Sunrise UPC. Das ergibt eine work-Umfrage unter den Grössten. Nur vier Firmen geben an, ganz auf Mystery Shopping zu verzichten: H & M, Volg, Landi und Sunrise.
Die Migros-Medienstelle weiss zwar von keinen Mystery Shoppern im Unternehmen. Allerdings findet sich auf der Website der Firma Smart Concept, einer Anbieterin von Testkaufpersonen mit Sitz in Volketswil ZH, ein Statement der Migros Aare, die sich für die «angenehme Zusammenarbeit» bedankt. Diese räumt auf Nachfrage ein, sie habe «in der Vergangenheit punktuell» Testkaufpersonen eingesetzt.
UNNÖTIGER STRESS
Auch Manor behauptet, man setze keine Mystery Shopper ein und habe dies nur «in der Vergangenheit punktuell» getan. Ein wenige Wochen altes internes Dokument, das work vorliegt, spricht allerdings eine andere Sprache. Manor warnt dort das Verkaufspersonal: «Es sind nach wie vor viele Testkunden in den Häusern unterwegs.»
Offensichtlich spielen die Firmen gerne etwas Versteckis beim Ausspionieren der Mitarbeitenden. Das ist heikel. Denn laut Datenschutzgesetz muss das Beschaffen von Daten grundsätzlich «für die betroffene Person erkennbar sein». Und das ist bei Testkäufen nicht der Fall. Laut Anne Rubin von der Unia müssen die Firmen deshalb im Minimum ankündigen, in welchem Zeitraum sie die getarnten Shopper ausschicken. Denn diese brächten den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern unnötigen Stress: «Die permante Ungewissheit, ob man gerade kontrolliert wird, ist eine zusätzliche Belastung. Und steht in keinem Verhältnis zum potentiellen Erkenntnisgewinn für die Firmen.»
Die work-Recherche zeigt aber: Nicht einmal dieses Minimum halten alle ein. Aldi schreibt zwar, die Mitarbeitenden seien über mögliche Testkäufe «in Kenntnis gesetzt». Doch Aldi-Verkäuferin Ruf widerspricht: «Wir werden vorgängig nicht informiert.»
* Namen geändert
Kundenbenotungen: «Nicht mit dem Arbeitsrecht vereinbar»
(Foto: iStock)
Ein Smiley hier, ein paar Sternli dort: Wer will, kann fast nach jedem Einkauf eine Note abgeben. Online sowieso. Aber immer öfter auch nach einem Ladenbesuch. Be-
reits flächendeckend durchgesetzt hat sich dies in der Telecombranche. Sowohl Swisscom, Sunrise wie auch Salt lassen ihre Mitarbeitenden durch die Kundinnen und Kunden bewerten. Mehr noch: Bei allen drei Unternehmen hat die Zufriedenheit der Kundschaft einen direkten Einfluss auf den Lohn der Mitarbeitenden. Rechtlich ist das heikel. Arbeitsrechtler Jean Christophe Schwaab kritisiert, dass die Kundschaft nicht dafür ausgebildet sei, Mitarbeitende zu beurteilen. Die Bewertungen seien zudem «weder transparent noch objektiv». Das sei mit dem Arbeitsrecht nicht vereinbar.
«Frau Weibel lächelt nicht mehr.»
NOCH MEHR DRUCK. Auch die Coop-Kundschaft kann seit zwei Jahren via Supercard-App Noten vergeben. Ein bis fünf Sterne sind möglich: zur Auswahl der Waren, zur Frische, zur Freundlichkeit des Personals. Plus ein Kommentar.
Michael Steiner *, stellvertretender Filialleiter in der Region Bern, sagt dazu: «Eigentlich ist es schön, ein Feedback von den Kunden zu haben.» Aber er frage sich schon, ob die Kommentare fundiert und fair seien: «Die Leute sehen nicht, dass wir vom Morgen bis am Abend am Seckle sind. Wenn dann einer reklamiert, er habe zwei Minuten an der Kasse warten müssen, dann stresst das zusätzlich.»
Das hatte auch Coop-Verkäuferin Maria Weibel* gemerkt. Sie sagt, sie sei eigentlich ein fröhlicher Mensch, hatte aber kürzlich eine persönliche Krise. «Dann gab es viele Kommentare: Frau Weibel geht es nicht gut, sie lächelt nicht mehr.» Darauf sprach der Chef sie an und fragte, was los sei. Weibel: «Das war sehr unangenehm. Ich empfand das als Verletzung meiner Privatsphäre.»
Coop schreibt, das Feedback werde den Mitarbeitenden grundsätzlich in Team-Meetings mitgeteilt. Wiederholt negative Rückmeldungen könnten aber «ein Anlass für konstruktive Gespräche» mit einzelnen Mitarbeitenden sein.
* Namen geändert