Andreas Rieger.
Böse Zungen nannten die früheren Gewerkschaftszeitungen «Pfarrblätter». Das war übertrieben. Es waren «Verbandsblätter», mit viel Verlautbarungen, Berichten von Sitzungen, Statements von Gewerkschaftssekretärinnen und -sekretären usw. Diese Zeitungen erschienen wöchentlich, das meiste Geld wurde für Druck und Post gebraucht, die Redaktion bestand oft nur aus einem Redaktor, der kaum Zeit hatte, das Büro zu verlassen. Solche Blätter gibt es heute fast keine mehr, sie wurden meist auf monatlich erscheinende Verbandsmagazine eingekocht.
work erwies sich als lebenslustig.
ZEIT DES AUFBRUCHS. work machte die letzten 20 Jahren etwas Neues: eine Zeitung, die die arbeitenden Menschen ins Blatt rückt. work sieht mit dem Blick von unten auf die Arbeitswelt. Der leider verstorbene André Daguet, einer der Gründungsväter von work, sagte es so: «Wir wollen näher an die Lebensrealität der Basis in den Betrieben heran.» Wir schoben das Zeitungsprojekt vor 23 Jahren zusammen an. Es war eine Zeit des Aufbruchs: Die Unia-Vorgängerorganisationen Smuv und GBI wollten die Gewerkschaften neu aufstellen. Einige Jahre vor ihrer Fusion zur Grossgewerkschaft Unia gaben sie bereits miteinander die neue italienischsprachige Zeitung «Area» heraus, dann das französischsprachige «Evénement syndical» und schliesslich ab 2001 «work».
SEHR STOLZ. Beim Start gab es viel Skepsis über das neue Blatt. Einige lästerten, es werde kein Jahr überleben. Aber work erwies sich als lebenslustig. Marie-Josée Kuhn als langjährige Chefredaktorin sorgte für die Kontinuität, aber auch immer wieder für Innovationen. Am 10-Jahre-Jubiläum freute sich Daguet: «Ich bin schon sehr stolz. Es gibt in der gewerkschaftlichen Presse nichts Vergleichbares.» Das stimmt auch heute noch.
Im work stehen die Werktätigen im Zentrum. Hunderte von Portraits von Menschen in ihrer Arbeits- und Lebensrealität sind im Laufe der zwanzig Jahre bereits erschienen. Dass diese Berufsleute «systemrelevant» sind und dass ohne sie nichts geht, zeigte work schon vor Corona. work hat Hunderte von Geschichten von Menschen erzählt, die sich gegen Ungerechtigkeiten am Arbeitsplatz zur Wehr setzten, aufstanden und gar streikten. Und damit anderen Mut gemacht, sich ebenfalls zu wehren. Das ist ein riesiges Verdienst. Ich gratuliere!
Andreas Rieger war Co-Präsident der Unia. Er ist in der europäischen Gewerkschaftsbewegung aktiv.