Lieferdienst Smood: Streikwelle aus der Romandie rollt heran
Tag für Tag ein neuer Streik!

Westschweizer Kurierinnen und Kuriere geben Gas – für würdige Arbeitsbedingungen beim Food-Lieferservice Smood. Bereits haben sie Erfolg, doch ein Multi­millionär will sie spalten.

RIEN NE VA PLUS! Streikende Smood-Kuriere in Lausanne. (Foto: Keystone)

Manchmal hat der Röstigraben die Wirkung einer Schallschutzmauer. Was in der Westschweiz längst Tagesgespräch ist, findet östlich von Biel noch nicht einmal in den Medien Widerhall. Bis Redaktionsschluss am 17. November war das auch im Smood-Streik der Fall, einer der dynamischsten Schweizer Streikbewegungen der letzten Jahre. Ihren Startschuss hatte sie bereits am 2. November in Yverdon VD. Und zwar genau um 18 Uhr. Denn mit dem Feierabend beginnt für die Smood-Kurierinnen und -Kuriere stets der grosse Stress. Mit fahrbaren Untersätzen aller Art hetzen sie von Restaurant zu Eigenheim, von Imbissbude zu Wohnung und liefern den kochmüden Hungrigen ihr warmes Znacht. Doch seit 18 Tagen rühren die Yverdoner keinen Finger mehr für das Genfer «Food-Tech»-Unternehmen. Und sie sind längst nicht mehr allein.

Unterstützt von der Unia, schlossen sich schon am 4. November die Fahrerinnen und Fahrer des Standorts Neuenburg an, dann nacheinander jene von Nyon VD, Sitten, Martigny VS, Lausanne, La Chaux-de-Fonds NE, Freiburg, Montreux VD, Vevey VD und Genf. Unterdessen seien über 100 von landesweit rund 400 aktiven Kurierleuten Teil der Bewegung, sagt Roman Künzler, Unia-Branchenleiter Logistik. Und er hält es durchaus für möglich, dass die Streikwelle bald auch die Deutschschweiz erreicht. Denn: «Die Missstände sind extrem und überall dieselben.»

Dem Streik in Yverdon schlossen sich auch die Kuriere von Neuenburg, Nyon, Sitten, Martigny an …

TYRANNISCHE APP

Der Zürcher Fahrer Anchieta Bispo (36) schlug schon im September Alarm. Sein Lohn komme seit über zwei Jahren immer zu spät, sagte er zu «20 Minuten». Auch würden ihm nicht alle Arbeitsstunden bezahlt: «Jeden Monat fehlen mir zwischen 10 und 15 Stunden.» Reklamiert habe er mehrfach, verbessert habe sich nichts. So ergehe es vielen bei Smood. Gleich sind die Rückmeldungen jener Streikenden, die bei «Simple Pay» angestellt sind, einer von Smood gegründeten Temporärbude. Zahlreich sind zudem Berichte von hohen Lohnabzügen bei Lieferverzögerungen, von falsch berechneten Fahrzeiten und nicht bezahlten Überstunden und Wochenendzuschlägen. Auch Transparenz schaffe die Firma nicht. Dazu ein Streikender aus Lausanne: «Wir wissen weder, wie viel wir mit unseren Lieferungen verdienen, noch, wie viel Trinkgeld uns ein Kunde gibt – und ob überhaupt.» Schuld sei die Tyrannei der Smood-App, über die der gesamte Arbeitsprozess einseitig überwacht werde. Eine App-Anpassung war es auch, die das Fass zum Überlaufen brachte. Ein Fahrer aus Yverdon erklärt: «Seit kurzem müssen wir uns jeden Morgen um 4 Uhr einloggen und die verfügbaren Schichten checken.» Wer zu spät komme, habe das Nachsehen. Aber auch die gebuchten Schichten könnten ohne Vorwarnung und Grund gestrichen werden. Mit verheerenden Folgen: «Seitdem es diese Plattform gibt, komme ich nicht mehr auf genügend Stunden. Nach Abzug der Fahrspesen, die nur teils entschädigt werden, beträgt mein Stundenlohn noch 10 Franken.» Auf dem Papier zahlt Smood 19 Franken plus 2 Franken Spesen pro Stunde.

Die Streikenden aber fordern jetzt einen fixen Bruttolohn von 25 Franken, die korrekte Entschädigung für genutzte Privatfahrzeuge und Handys, ein transparentes Trinkgeldsystem und das Ende der Bestrafungen. Und sie verlangen, dass ihnen die Arbeitsplanung zwei Wochen im voraus mitgeteilt wird. So, wie es das Gesetz vorschreibt. Doch Smood-CEO Marc Aeschlimann (37) macht bislang auf stur.

… und jene von ­Lausanne, La Chaux-de-Fonds, Freiburg, Montreux, Vevey und Genf.

SPALTUNGSMANÖVER

Er, der laut Wirtschaftsmagazin «Bilanz» über ein Vermögen von bis zu 200 Millionen Franken verfügt, hat sich noch nicht einmal zu Wort gemeldet. Auch den Dialog mit den Streikenden und der Unia verweigert er. Stattdessen versucht seine PR-Abteilung, die Mitarbeitenden mit Zückerchen zu besänftigen: Letzte Woche erhielten alle einen Einkaufsgutschein im Wert von 100 Franken. Aber auch eine schriftliche Aufforderung, sich bei der Gewerkschaft Syndicom zu melden, einem «kompetenten Sozialpartner», mit dem man in Kürze einen Gesamtarbeitsvertrag abschliesse. Für Unia-Mann Künzler ist das ein durchsichtiges Manöver: «Smood versucht, die Belegschaft zu spalten und die Gewerkschaften gegeneinander auszuspielen», sagt er zu work. Das werde aber nicht gelingen. «Wir sind mit Syndicom in Kontakt und arbeiten an einem gemeinsamen Vorgehen.» Der Streik jedenfalls zeigt bereits Wirkung: Am Montag teilte Smood mit, eine Erhöhung der Löhne auf 23 Franken sowie der Fahrzeugspesen auf das Niveau der TCS-Richtlinien sei «akzeptabel».

«Hör zu, Smood!»: Jetzt Petition unterzeichnen! rebrand.ly/smood

Die Unia fordert: «Migros muss jetzt handeln!»

Nicht nur für Restaurants, auch für die Migros liefert Smood. Schweizweit 80 Filialen werden ­bedient. Die Genfer Migros-Genossenschaft hält sogar 35 Prozent der Smood-Aktien und ist im Verwaltungsrat mit zwei Top-Managern vertreten.

VERANTWORTUNG. Anne Rubin, Unia-Leiterin Detailhandel, fordert deshalb Taten: «Migros muss soziale Verantwortung übernehmen und dafür sorgen, dass Smood mit den Streikenden, der Unia und mit Syndicom an einen Tisch sitzt.» Bisher jedoch windet sich der orange Riese: Man sei bloss «Minderheits­aktionär» und habe bereits den Gesprächsprozess zwischen Smood und Syndicom «stark ­gefördert», heisst es auf Anfrage.

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