Konkrete Situationen erfordern konkrete Analysen: Das haben die Gegnerinnen und Gegner des ökologischen Umbaus leider nicht begriffen. Sie behaupten, man dürfe der Landbevölkerung keine Elektromobilität aufs Auge drücken. Weil diese oft mit dem Auto pendeln müsse. Ein Irrtum.
ERIC GUJER, CHEFREDAKTOR DER NZZ, lauscht hingebungsvoll der deutschen Politikerin Sahra Wagenknecht. Obwohl sie Quatsch erzählt. (Foto: Screenshot «NZZ Standpunkte»)
Gibt es so etwas wie einen Graben zwischen Stadt und Land? In einigen Fragen ja, in andern nicht. Und irgendwie beginnt die Schweiz sowieso zu verstädtern. Im engeren peripheren Alpenraum leben nur 10 Prozent der Menschen. Denn längst sind etwa Chur und Sitten Städte in den Alpen.
Es geht halt immer um die konkrete Analyse der konkreten Situation. Und die ist mehr als komplex. Die direkten und indirekten Subventionen für die Landwirtschaft fliessen vorab ins Mittelland. Die Aufhebung der Poststellen lässt viele Dörfer mitveröden. Es fehlt an einem flächendeckenden Glasfasernetz, und dies in einer Zeit, wo Homeoffice an Bedeutung gewinnt. Umgekehrt sorgt die Schweiz mit den Kohäsionsmilliarden des Finanzausgleichs dafür, dass die regionalen Unterschiede nicht zu gross werden.
Die Gegnerinnen und Gegner des ökologischen Umbaus behaupten immer wieder, man dürfe der Landbevölkerung keine Elektromobilität aufs Auge drücken. Weil diese oft mit dem Auto pendeln müsse. Zu denen gehört leider auch die von den Rechten in der Schweiz hochverehrte deutsche Politikerin Sahra Wagenknecht. Die Vertreterin der deutschen «Linken» ist gegen das Impfen und gegen Elektroautos. Machen wir einen kleinen Faktencheck:
Elektroautos werden immer billiger: Die Preise für Elektroautos sinken. Spätestens 2027 werden sie nicht mehr teurer sein als Personenwagen, die Benzin und Diesel verbrennen. Das Umsteigen können wir fördern, so wir wollen. Der Baukasten: Erstens, Verschrottungsprämien für Verbrenner. Zweitens, Subventionen für den Kauf von Elektroautos. Drittens, Befreiung von der Motorfahrzeugsteuer für Elektroautos. Viertens, Rückerstattung der CO2-Abgaben sozial und regional differenziert. Wer will, kann, nur wollen noch zu wenige. Die Politik kann und muss den richtigen Mix suchen und umsetzen. So, wie dies im ländlichen Glarus und im städtischen Zürich mit den Ölheizungen geschehen ist. Da wurde ein Heizölverbot mit Finanzhilfen für Alternativen verbunden.
Mehr Eigentümerinnen und Eigentümer = mehr eigene Dächer und Freiflächen: Die Zahl der Hausbesitzerinnen und -besitzer im ländlichen Raum ist grösser. Sie können auf ihren Dächern und in ihren Gärten Solarzellen installieren. Und mit einem Teil ihres selbstproduzierten Stroms – auch dank Batterien – ihre Autos laden. Hier werden die Preise in den kommenden Jahren weiter sinken.
Das Paradebeispiel, mit dem die Leugnerinnen und Leugner des Klimawandels wie Sahra Wagenknecht immer argumentieren, ist die Pflegerin, die jeden Tag mit ihrem Auto in das 50 Kilometer weit entfernte Spital pendeln muss. Weil der öffentliche Verkehr bei Nachtarbeit sowieso nicht funktioniere. Macht nach Adam Riese 25’000 Pendlerkilometer pro Jahr.
Bei den heutigen Spritpreisen macht das jährlich allein für Benzin oder Diesel 3500 Euro oder Franken aus. Wer mit dem Elektroauto unterwegs ist, spart pro Jahr mindestens 2500 Franken oder Euro. In 12 Jahren somit 30’000 Franken. Mehr, als gute Elektroautos nächstens kosten werden.
Genau deshalb werden sich in den ländlichen Räumen Elektroautos durchsetzen. Entgegen allen Schwätzerinnen, die den Rechten gefallen wollen.
Link zum Thema:
- rebrand.ly/wagenknecht
«Weltwoche»-Autor René Hildbrand ist ein Sohn der Berge. Er ist von der deutschen Politikerin Sahra Wagenknecht, die gegen das Impfen und gegen Elektroautos ist, genauso fasziniert wie NZZ-Chefredaktor Eric Gujer. In der «Weltwoche» schreibt Hildbrand: «Ich hätte mir nicht ausmalen können, dass ich eines Tages von einem linken Politiker oder einer linken Politikerin angetan sein würde. Ich bin es seit längerem – von Sahra Wagenknecht.»
Wer will wem was aufs Auge drücken? Die Elektromobilität haben wir seit ca. 110 Jahren auf der Schiene. Nach dem 2. Weltkrieg setzte sich immer mehr der Individualverkehr durch mit dem Verbrennungsmotor – auch zu Lasten der Schiene. Und der kurzen Wege (!). Jetzt schwenkt die Luxus-Linke zu den Luxus-Autos mit E-Antrieb. Die Rest-Klugen unter den Linken wie Sahra Wagenknecht, Monika Maron oder Cora Stephan bemängeln dies.
Nur Ignoranten sehen einen Fortschritt von einem 750kg-Auto (VW Golf 1974) zum Zwei-Tönner (VW ID.3 2020). Es fehlt halt an geistigen Ladestationen (!).