Diese fünf Fahrerinnen und Fahrer von Smood streiken, und sie sagen, warum:
«Uns macht das Schichtsystem zu gnadenlosen Konkurrenten!»

App-Wahnsinn, Abzockerei und manipulative Spielchen – Smood scheint alles recht, um seine Fahrerinnen und Fahrer auszupressen.

IM STREIK: Smood-Fahrer Ramzi Hadjadj. (Foto: Luca Dubuis / Unia)

Ramzi Hadjadj, 22, Crassier VD «Privatleben, adieu!»

«Ich fahre zwar für Smood, bin aber seit bald zwei Jahren beim Subunter­nehmen Simple Pay angestellt. In ­dieser Zeit habe ich manchmal richtig gelitten – und sehr viel ­geopfert. Meine Familie sah ich wochenlang nicht. Dabei wohnen wir zusammen! Auch fürs Box­training habe ich kaum noch Zeit. Privatleben, adieu!

VERSCHWUNDENE STUNDEN. Eine andere Stelle fand ich nicht, obwohl ich ein Handelsdiplom habe und Berufserfahrung bei der Mi­gros. Für mich heisst es also immer noch: Liefern, liefern, liefern! 3000 Franken habe ich einmal nach Hause getragen. So viel wie noch nie. Doch in jenem Monat war ich 240 Stunden unterwegs, auf der Lohnabrechnung standen aber nur 150 Stunden! Jetzt bin ich Delegierter des Streikkollektivs von Nyon. Jeden Abend ­stehen wir am Streikposten, und jeden zweiten Tag treffe ich die Fahrerinnen und Fahrer der anderen Orte. Zusammen diskutieren wir die neusten Ereignisse und entwickeln Strategien. Abends bin ich jeweils ziemlich erledigt, doch das ist eine Müdigkeit, die sich gut anfühlt. Denn wir kämpfen für eine gerechte Sache.»


Hadir Mansouri*, 40, Eysins VD «1000 km pro Woche!»

Hadir Mansouri. (Foto: Luca Dubuis / Unia)

Eigentlich bin ich ­Pizzaiolo, doch als ­Corona kam, gab mein damaliger Chef auf. Also wurde ich Fahrer. Zu Beginn kam ich auf knapp 3000 Franken im ­Monat. Jetzt hat sich mein Lohn fast halbiert!

LEER. Ein weiteres Problem: Die App gibt uns keine Möglichkeit, die Abrechnung zu überwachen. Es ist daher wichtig, selbst Buch zu führen. Ich zum Beispiel mache wöchentlich 1000 Kilometer mit dem eigenen Auto. Allein das Benzin dafür kostet mich 120 Franken. Die Fahrspesen, die wir erhalten, decken das nie und nimmer! Dann die Trinkgelder: Smood hat ein System eingeführt, bei dem der Kunde per App ein Trinkgeld geben kann. Die App zeigt uns aber nicht, ob wir überhaupt einen Zustupf erhalten. Sämtliche Trinkgelder kommen in einen virtuellen Topf und werden am Monatsende auf die einzelnen Fahrer verteilt. Einmal bin ich aber komplett leer ausgegangen. Ich habe dann meinen Vorgesetzten angerufen, und der sagte mir: ‹Für die Schnellen gibt’s mehr, für die Langsamen weniger.›»

* Name geändert


Anna Victoria, 21, Yverdon-les-Bains VD «Wie bei <Hunger Games>!»

Anna Victoria. (Foto: Luca Dubuis / Unia)

Auf meiner September-Lohnabrechnung fehlten 10 Arbeitsstunden. Ich habe den Manager angerufen. Der meinte, ich müsse mir keine Sorgen machen. Das würde im nächsten Monat nachbezahlt. Ich wartete vergeblich. Sie haben mir sogar erneut Stunden abgezogen – diesmal 17! Bei uns gibt es Kollegen, denen fehlen 50 Stunden.

ALLE GEGEN ALLE. Für mich ist es wenigstens nur ein Zwischenjob. Ich bin gelernte Automatikerin und studiere jetzt Ingenieurin. Aber trotzdem müssen sie mich korrekt bezahlen. Ich habe schliesslich auch Auslagen – für das Auto, das ­Essen. Und ein Leben habe ich auch noch! Bevor das Schichtsystem kam, lief es mir sehr gut. Jetzt aber haben wir immer Angst. Wir arbeiten sieben Tage die Woche. Und ständig kleben wir an unseren Handys. Weil wir es uns nicht leisten können, ein Schichtangebot zu verpassen. Ständig bin ich unter Stress, sogar während meiner Vorlesungen. Es ist jetzt wie in den ‹Hunger Games›-Filmen: Alle gegen alle, das Schichtsystem verwandelt uns zu gnadenlosen Konkurrenten. Aber da machen wir nicht mit!»


Fabrice Plaschy, 52, Lancy GE «Schon mein zweiter Streik»

Fabrice Plaschy. (Foto: Luca Dubuis / Unia)

Die Genfer Bevölkerung ist sehr solidarisch mit uns. Es wird jetzt auch deutlich weniger bestellt bei Smood. Gerade heute morgen hat mir ein nicht ­streikender Kollege erzählt, er habe während einer ganzen Schicht nur einen einzigen ­Blumenstrauss ausgeliefert. Mit diesem Job verdiene ich 2300 bis 2400 Franken. Mit dem neuen Schichtsystem aber 25 Prozent weniger. Denn wenn du eine Schicht buchen willst, ist sie oft schon vergeben.

NACHTEILE. Und noch etwas hat sich verschlechtert: Früher konnten wir uns von zu Hause aus ins System einloggen. Heute müssen wir dafür extra in die Stadt fahren. Dahinter steckt, dass viele Fahrer in Frankreich wohnen. Die haben sich manchmal zu früh eingeloggt und waren nicht rechtzeitig beim Kunden. Aber jetzt hat Smood ein System eingeführt, das für alle Nachteile bringt. Niemand bezahlt mir das Benzin und die Zeit, die ich brauche, um in die Innenstadt zur Anmeldung zu fahren. Anderen geht’s noch schlechter. Seit zwei Wochen schläft ein Kollege bei mir auf dem Sofa, weil er seine Wohnung nicht mehr bezahlen kann. Übrigens: Schon vor zwei Jahren haben wir hier gestreikt. Uber Eats war damals frisch nach Genf vorgedrungen. Und die hatten eine tiefere Kilometervergütung als wir. Smood hat reagiert und unsere Spesen einfach auf das Niveau der Konkurrenz herabgesetzt. Wegen unseres Streiks haben sie das rückgängig gemacht, aber leider nur vorübergehend.»


Zaccharie Bede, 22, Coppet VD «Um 4 Uhr aufstehen»

Zaccharie Bede. (Foto: Luca Dubuis / Unia)

Ich bin Multi­media-Elektroniker mit eidgenössischem Fähigkeitszeugnis. Bei Smood habe ich angefangen, während ich die Berufs­matur nachholte. Zuerst lief es nicht schlecht. Doch jetzt haben sie dieses Schichtsystem eingeführt. Da musst du um vier Uhr morgens aufstehen und dich in die App einloggen, bloss, um eine Arbeitsschicht zu ergattern. Wobei: Jetzt haben sie das schon wieder geändert. Neuerdings öffnet das ­Buchungsfenster erst um 9 Uhr. Ein direkter Erfolg ­unseres Streiks!

ALLEINE. Übrigens: Wir Fahrer haben uns erst mit dem Protest richtig kennengelernt. Vorher waren wir immer alleine. Der Streik hat uns zusammengeschweisst. Wir sind jetzt ein richtiges Team!»

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