Im April kürt Frankreich einen Präsidenten oder eine Präsidentin. Eine Rechtsextreme und eine extrem Rechte haben Chancen, den wieder antretenden Emmanuel Macron herauszufordern. Doch alle reden nur vom selbsternannten Messias Eric Zemmour.
VERZIEHT EUCH! Präsidentschaftskandidat Eric Zemmour zielte an der Messe für innere Sicherheit in Paris auf eine Gruppe Medienleute. (Foto: Le Parisien)
Eric Zemmour, der rechtsextreme Scharfmacher, packte sich ein Snipergewehr mit Schalldämpfer und zielte auf eine Gruppe Medienleute: «Jetzt vergeht euch das Lachen, was?» rief er, «verzieht euch!» So geschehen im vergangenen Oktober an der Messe für innere Sicherheit («Milipol») in Paris.
Dieser Mann will bei den Wahlen im kommenden April den französischen Präsidenten Emmanuel Macron ablösen. Man möchte sich das gar nicht erst vorstellen: Zemmour vertritt ein scharf rechtsextremes Programm, und ein französischer Präsident ist mit fast unbeschränkter Macht ausgestattet. Er würde das Land in den Bürgerkrieg stürzen, den er immer wieder herbeiredet (und insgeheim herbeisehnt). Und Europa müsste an Zemmour zerbrechen. Das werde die französische Gesellschaft nicht zulassen, redet man sich ein.
Das Gefühl könnte täuschen. Zemmour, der TV-Mann und Bestsellerautor, hat sich bei Donald Trump einiges abgeschaut. Permanente rassistische Hetze (wofür er schon dreimal verurteilt wurde), sexistische Provokationen bis hin zur Tätlichkeit und Dauer-Verhöhnung der Demokratie. Frankreich hätte ein paar ernste Probleme, wie etwa die wachsende Armut von einem Drittel seiner Bevölkerung. Geredet wird aber nur über zwei Dinge: über Covid und Zemmour, den selbsternannten Messias.
Zemmour ist der Faschist für die Pariser Salons.
DIE GROSSE VERDRÄNGUNG
Was ist bloss mit Frankreich los? Im Land, das sich rühmt, die Mutter der Aufklärung und der Menschenrechte zu sein, scheinen alle Dämme zu brechen. Rund um die Uhr agitieren auf (fast) allen Kanälen gestandene «Philosophen», «Politik-Analysten», «Editorialistinnen» gegen Migranten und Frauenrechtlerinnen, gegen Muslimas, Linke, Gewerkschafter und die Klimajugend.
Zuerst war es nur ein Grummeln, doch nun schwillt es zum Gebrüll an. Ein ranziger Rassismus ist gerade in «besseren Kreisen» wieder salonfähig. Enthemmt wird in Pariser Literatencafés Zemmours Rede beklatscht. Ihm gehören die Titelseiten und die TV-Bühnen. Er selbst fasst das sinngemäss so zusammen: Der Klassenkampf war gestern, jetzt gehe es um den Kampf der «Identitäten», der Rassen. Ein schlechter Witz: Zemmours Eltern sind jüdische Araber aus Constantine (Algerien). Er wurde in der Synagoge religiös erzogen. Was ihn nicht daran hindert, auch mal antisemitische Töne anzuschlagen.
Frankreich ist eine Gesellschaft, die zu grossen Teilen von Einwandernden gebaut wurde. Gainsbourg, Aznavour, Montand, Picasso, Chagall, Pierre Cardin, Marie Curie – alles «Ausländerinnen und Ausländer». Der frühere (auch schon fremdenfeindliche) Präsident Nicolas Sarkozy ist eigentlich ein ungarischer Adliger. Ex-Regierungschef Edouard Balladur ein armenischer Türke. Manuel Valls, ein anderer Ex-Premier, ist Spanier mit einer Grossmutter aus dem Wallis. Paris wäre ein trauriges Provinznest, hätten nicht Menschen aus aller Welt ihre Intelligenz und Tatkraft an die Seine getragen.
Alles passé. Denn nun macht sich ein ganzer Tross von etablierten «Denkern» und «Chronisten» im Stile Zemmours daran, eine absurde Behauptung mehrheitsfähig zu machen: Frankreich sei das Opfer einer grossen Verdrängung («grand remplacement»): Seine gut gallische Bevölkerung werde durch eine Einwanderung dunklerer Hautfarbe unterjocht. Und diese wollten hier den Halbmond des Islams hissen, um die europäische Zivilisation auszulöschen. Zwar ist nicht ganz klar, was sie mit «Zivilisation» meinen. Schliesst das den Holocaust, die brutalen Kolonialkriege, zwei Weltkriege, den mörderischen Kapitalismus und die ökologische Vernichtung ein?
Vor allem aber widerlegen alle harten Fakten von Wissenschaft und Statistik diese Komplott-Theorie, die der reaktionäre französische Autor Renaud Camus 2010 in die Welt gesetzt hat. Und noch mehr tut es der französische Alltag. Real gibt es keine Masseneinwanderung, die religiöse Praxis ist rückläufig. Nur ist die irre These ungemein praktisch: Wir können gar nicht rassistisch sein, reden sich die Neu-Faschisten heraus, weil sie selbst Opfer eines anti-weissen Rassismus seien. Da erübrigen sich alle Debatten über die tägliche Diskriminierung in Frankreich, die soziale Not, die Polizeigewalt in den Vorstädten oder die Folgen der Kolonialisierung.
RECHTES GRUSELKABINETT: Eric Zemmour, Marine Le Pen und Valérie Pécresse fordern Präsident Emmanuel Macron heraus (von links). (Fotos: Keystone)
DIE GROSSE VERWIRRUNG
Derlei wird inzwischen sogar von Ministern von Präsident Macron vertreten. Die bürgerlichen Rechten (Republikaner) sind ganz auf diese Linie eingeschwenkt, und sie wirkt bis in die Sozialdemokratie und die Grünen hinein. Auch Manuel Valls, der dem «Sozialisten» François Hollande als Regierungschef diente, redet Zemmour inzwischen nach dem Mund. Der neue Rassismus kommt nicht von unten. Er ist das Produkt der politischen und ökonomischen «Eliten». Der Millionär Zemmour ist lediglich ein Symptom dieser Entwicklung. Doch weil er die französischen Eliteschulen durchlaufen hat, ist er passabler als etwa Marine Le Pen von der rechtsextremen Nationalen Front (heute «Rassemblement National»). Ihr hängt immer noch der Nazi-Stallgeruch ihres Vaters Jean-Marie Le Pen an. Zemmour ist der Faschist für die Pariser Salons.
Manche Grobheit (etwa die Klage über die «Entmännlichung Frankreichs») lässt man ihm durch, weil er die Geschichte gefällig fälscht. Kürzlich verkündete er gar, Marschall Pétain, der Kopf des Vichy-Regimes im Zweiten Weltkrieg, sei keine Hitler-Marionette gewesen, sondern der «Retter der französischen Juden». Begründung: Pétain habe «nur ausländische Juden» in die KZ ausgeliefert. Da jubeln die Hass-Youtuber.
Der französische Soziologe Philippe Corcuff nennt diese Methode «grosse Verwirrung». Sie schafft ein günstiges Klima für ultrarechte Theorien. Und nebenbei werden Aufklärung, Menschenrechte, Wissenschaft, Gerechtigkeit, Wahrheit gleich mit gekübelt.
Geht es nach Zemmour, soll in Frankreich schon bald ein gallisches Reinheitsgebot gelten. Voller Hass fiel der Mann vor laufenden Kameras über die französische TV-Frau Hapsatou Sy her. Sie habe sich gefälligst Corinne zu nennen, machte er sie an, Hapsatou sei kein französischer Name. Der Grossvater von Sy hat als Senegalese in der französischen Armee gekämpft. Auch die Mohameds, Aïchas und Auroras will Zemmour nicht mehr zulassen. Als Präsident, so teilte er mit, werde er nur noch Vornamen aus dem katholischen Kalender tolerieren.
Zemmour will Namen wie Aïcha, Mohamed und Aurora nicht mehr zulassen.
DER GROSSE PLAN
In anderen Zeiten und Umständen hätte man über dieses polternde Herrenmenschen-Getue gelacht. Zemmour treibt sein rechtsextremes Unwesen als «Journalist» schon seit Jahrzehnten. Bis vor kurzem hatte er nicht einmal eine eigene Partei. Nun hat er sie doch noch gegründet. Sie heisst «Wiedereroberung» (in Anspielung an die Vertreibung der Muslime und Juden aus Andalusien durch die Katholischen Könige im 15. Jahrhundert). Zemmour wäre eigentlich eine Nullnummer, stünde da nicht eine Warnung im Raum: der Wahlsieg Donald Trumps 2017.
Im Aufstieg Zemmours spielen verschiedene Dinge zusammen (siehe Kommentar links). Ein wichtiger Grund heisst Bolloré. Vincent Bolloré. Zemmour ist sein Kandidat, der Kandidat seines Konzerns. Die global agierende Bolloré-Gruppe (Logistik, Transport, Häfen) hat ihr Geld vor allem in Afrika gemacht, zum Teil mit kriminellen Methoden. Jetzt hat sich der Multimilliardär (und Ex-Geschäftspartner von Silvio Berlusconi) in kurzer Zeit ein mächtiges, reaktionäres Medienimperium zusammengekauft (Buchverlage, TV, Radio, Zeitungen). Sein Ziel: Zemmour zum Präsidenten zu machen. Der Bolloré-Sender CNEWS ist für den Rechtsextremisten zu dem geworden, was Fox News für Trump ist. Andere Kapitalisten zogen mit finanzieller und politischer Unterstützung nach. Aus Duldung ist Komplizenschaft mit dem Neofaschisten geworden.
Darüber macht sich in Frankreich jetzt leise Panik breit. Denn in manchen Umfragen scheint Zemmour, der dem Volk gerne den Stinkefinger zeigt, für den 2. Wahlgang qualifiziert (dort machen nur die beiden Bestplazierten die Entscheidung aus). Dafür könnten schon 15 Prozent der Stimmen genügen. Wie eine Entscheidung Macron gegen Zemmour ausgehen würde, ist ungewiss. Macron hat den Vorteil der Macht. Doch mit seiner neoliberalen, antisozialen Politik hat er die Mehrheit der Französinnen und Franzosen gegen sich aufgebracht.
Im ersten Wahlgang könnten Marine Le Pen (Nationale Front) und Valérie Pécresse von den Republikanern Zemmour den Coup streitig machen. Ideologisch trennt sie heute kaum noch etwas. Pécresse drohte dieser Tage, sie werde «den Kärcher aus dem Keller holen, um die Banlieue auszumisten». Zusammengenommen liegen sie in den Umfragen vor Macron. Diverse Republikaner, darunter die frühere Nummer zwei der Partei, sind bereits zu Zemmour übergelaufen. Das freut Zemmour, denn er möchte die extreme Rechte und die Rechtsextremen zu einem neofaschistischen Block zusammenführen.