Da ist weder Hopfen noch Malz verloren: Der Bierbrauer Simon Schulz setzt sich bei Heineken und in der Branche für bessere Rahmenbedingungen ein. Mit Erfolg.
EXPERTE: Die Kunst des Bierbrauens beherrscht Simon Schulz. Die Kunst des Verhandelns auch. (Foto: Nicola Pitaro)
Simon Schulz ist über 1.80 Meter gross, trägt einen schwarzen Kapuzenpullover, einen Dreitagebart und eine dicke schwarze Brille auf der Nase. Damit und kombiniert mit seiner direkten Art und dem herzhaften Lachen passt er gut in das Bild des coolen Braumeisters der Mikrobrauerei um die Ecke. Doch Schulzes Ziel beim Brauen sind nicht neue Geschmacksexperimente oder hippe Craftbiere. Im Gegenteil.
Jeden Tag den exakt genau gleichen Geschmack hinbekommen. Da liegt sein Fokus. Das hat auch, aber nicht nur, mit seinem Arbeitgeber zu tun. Der 44jährige arbeitet in Chur für die Brauerei Calanda. Eine Tochterfirma von Heineken. Die verschiedenen Biersorten des internationalen Konzerns sollen überall auf der Welt gleich schmecken. Egal ob in Chur, in Hongkong oder in Texas. Zu jeder Zeit, an jedem Ort. «Immer diese Qualität zu halten. Das ist eine grosse Kunst», sagt Schulz.
PERFEKTIONISTISCH. Bier ist ein anspruchsvolles Getränk. Eine kleine Diva, die gehegt und gepflegt werden will. Vier bis sechs Wochen dauert der Brauprozess. In dieser Zeit können unzählige Fehler passieren. Sei es beim Kauf von Malz, Hopfen, Hefe. Beim Einsatz des Wassers – zu hart, zu weich. Sei es bei der Gärung. Bei der Lagerung oder beim Abfüllen in die Fässer, Flaschen und Dosen. Die kleinste Abweichung beeinflusst den Geschmack. Der kleinste Dreck verunreinigt den Gerstensaft. Das richtige Timing entscheidet über die Qualität. Sauberes und exaktes Arbeiten ist gefragt. Und zwar 24 Stunden. Sieben Tage die Woche.
Bei Calanda sind alle Brauschritte bis ins kleinste Detail geregelt. Jeder Klick am Computer, jedes geöffnete Ventil, jeder Tropfen Wasser wird genau protokolliert. Nichts wird dem Zufall überlassen. Was auf den ersten Blick wie Überwachung klingt, ist für Schulz eine Absicherung der eigenen Arbeit. Und eine Möglichkeit, aus Fehlern zu lernen. «Wir zeigen hier nicht mit dem Finger aufeinander und sagen: Das hast du falsch gemacht!». Die Kultur ist offen. Im Team mit zwölf weiteren Braumeistern – alles Männern – geht es vor allem darum weiterzukommen, die Prozesse zu optimieren. Schulz: «In der Perfektion liegt für mich der Reiz des Bierbrauens.»
IN CHUR WIE IN HONGKONG: Calanda gehört zu Heineken – und das Bier, das Schulz hier braut, muss genauso schmecken wie überall sonst auf der Welt. (Fotos: Calanda)
SCHULMÜDE. Zum Bierbrauen selbst ist Simon Schulz durch Zufall gekommen. Aufgewachsen bei Köln, stammt er aus einer klassischen Akademikerfamilie. Seine Eltern waren beide Archäologen mit Doktortitel. Doch diesen Weg wollte der 44jährige nicht einschlagen. «Schule war nicht so mein Ding.» Weil der Vater eines Freundes in einer grossen Brauerei arbeitete, fing er dort nach dem Wehrdienst die Lehre an. Ein Glücksfall: «Ich möchte bis heute nichts anderes machen. Es ist ein toller Beruf!»
Nachdem er fünfzehn Jahre lang in zwei Betrieben hauptsächlich das typische Kölsch hergestellt hatte, bewarb er sich kurzentschlossen bei Heineken. «Jetzt oder nie! dachte ich. Das war wohl eine vorgezogene Midlifecrisis.» Er bekam den Job. Und fing 2013 im beschaulichen Chur an. Ein kleiner Kulturschock. «Die Schweiz ist das perfektere Deutschland», sagt Schulz lachend. Hierzulande sei alles noch sauberer, noch pünktlicher, bünzliger und freundlicher als in seinem Heimatland. «In Chur kannst du nachts die Brieftasche verlieren, und am nächsten Tag liegt sie im Briefkasten.»
KÄMPFERISCH. Selbst die Streiks sind hierzulande netter, findet Simon Schulz. In Deutschland sei der Ton härter, weniger auf Kompromisse aus. Er weiss, wovon er spricht. Bereits als Jugendlicher trat er der Gewerkschaft Nahrung-Genuss-Gaststätten (NGG) bei. Und wurde rasch aktiv: Als 2008 der Tarifvertrag, ähnlich wie in der Schweiz der Gesamtarbeitsvertrag, gekündigt werden sollte, war Schulz an vorderster Front mit dabei. Er und seine Kollegen organisierten Warnstreiks. Auch bei seinem Arbeitgeber legten sie die Arbeit nieder. Nach einigen Wochen und unzähligen Verhandlungen konnten sie schliesslich den Tarifvertrag retten. «Diesen Kampf und diesen Druck brauche ich nicht jeden Tag. Aber ich würde es jederzeit wieder machen, wenn es der Sache dient!» gibt sich Schulz kämpferisch.
Auch in der Schweiz liegen ihm die Arbeitsrechte am Herzen. Kaum in Chur angekommen, ist er der Unia beigetreten. «Ehrensache!» Er präsidiert zudem die Branchengruppe der Brauereien und sitzt in der Personalkommission bei Heineken. Die Zusammenarbeit im Betrieb klappt gut. Sehr gut sogar. «Wir begegnen uns auf Augenhöhe. Unsere Anliegen werden ernst genommen», sagt er. Wie so oft, hängt das Klima von den Köpfen ab. Jener von Simon Schulz bleibt bis auf weiteres in Chur. Im nächsten Jahr will er den Schweizer Pass beantragen. Dann kann er auch bei Abstimmungen ein Wörtchen mitreden.
Simon Schulz Weltenbummler
Mitten in den Bergen leben und nicht Ski fahren? Geht nicht! Und so schnallte sich Simon Schulz kurz nach dem Umzug nach Chur erstmals die Bretter unter die Füsse. Gemeinsam mit seiner Frau kurvte er – anfangs wackelig und langsam – die blauen Pisten runter. Heute dürfen sie auch schwarz und schnell sein. «Schnee ist mein Element geworden», sagt er lachend.
Australien. So offen wie gegenüber dem Skifahren, so offen ist Simon Schulz gegenüber anderen Ländern und Kulturen. «Die ganze Welt interessiert mich!» Er ist in Grossstädte wie Hongkong oder Istanbul eingetaucht. Er ist durch Ghana gereist und hat bei den Menschen vor Ort gewohnt. Er war in Indien, in Thailand und den USA. Nach der Pandemie zieht es ihn nach Australien. Da war er noch nie. Da möchte er hin. «Das steht zuoberst auf meiner Bucket List!»
Simon Schulz arbeitet 100 Prozent und verdient 5400 Franken brutto. Mit Zulagen sind es rund 6000 Franken. Er ist Unia-Mitglied.