Packende neue Dok über Lohndumping und Schwarzarbeit: «Sorry, Chef, sorry!»

Regisseur Ulrich ­Grossenbacher geht mit der Kamera nah ran. So nah, dass sein neuer Film «Schwarz­arbeit» über Lohndumping und Ausbeutung fast zum Krimi wird.

VERZWEIFLUNG: Bauarbeiter in der Baracke. Die wahren Täter sind die Schleuser und Chefs dubioser Firmen. Doch sie bekommen nur lächerliche Bussen. (Foto: ZVG)

Ein Bauarbeiter ist abgehauen. Aber wohin? Der Kontrolleur steigt in den Keller hinab. Leuchtet mit der Taschenlampe die dunklen Räume aus. Im Lichtkegel plötzlich ein Gesicht – da ist er! Ein junger Mann, kein Ausweis, keine Bewilligung, spricht nur ein paar Brocken Englisch. Bald führt ihn die Polizei in Handschellen ab. Eine Szene aus Ulrich Grossen­bachers Film «Schwarzarbeit», der eben an den Solothurner Filmtagen Premiere hatte. Die Szene hätte aus einem Film noir stammen können. Oder aus einem Krimi. Aber sie ist real. Ein Dokumentarfilm, alles echt, nichts erfunden.

Bei Grossenbachers «Schwarz­arbeit» werden sich manche die ­Augen reiben. Ist das möglich? Hier bei uns in der Schweiz? Ja, es ist möglich. Und es ist sogar Alltag. Auf zig Baustellen, in vielen Beizen, aber auch in privaten Pflegehaushalten ­arbeiten Leute, die einfach nur aus­gebeutet werden. Das ist die traurige Botschaft von Grossenbachers Doku. Ein paar Beispiele: 1270 Franken pro Monat für einen Verkäuferjob in der Gelateria, ohne Abrechnung bar auf die Hand. 2800 Franken für zehn Stunden pro Tag und sechs Tage die Woche auf dem Bau. 550 Franken Grundlohn für einen sogenannten Manager in einem Lebensmittelgeschäft, sieben Tage die Woche, keine ­Zuschläge, Feriengeld so unbekannt wie der Dreizehnte. 2060 Franken im Monat für eine 24-Stunden-Pflege in einem Haushalt, fünfmal pro Nacht im Einsatz. Das sind die Fakten aus der schmutzigen Realität des Schweizer Arbeitsmarkts.

2800 Franken für zehn Stunden pro Tag und sechs Tage die Woche auf dem Bau.

TÄTER KOMMEN DAVON

Die Arbeitsmarktkontrolleure des Kantons Bern, fünf Leute, sind jeden Tag auf Achse. Eher massige Typen, aber mit viel Herz. Autor Grossenbacher setzte sich zu ihnen ins Auto und fuhr mit. So kam er direkt an die Missstände ran. Da ist der junge Mazedonier auf der Baustelle. Hat er einen Ausweis? Ein paar Ausflüchte in der Baracke, dann bricht er in Tränen aus. Denn er arbeitet ohne Bewilligung. Kam als Tourist ins Land und büezt nun auf dem Bau. Er tut es für seine Familie, hat keine andere Wahl. Die Szene ist herzzerreissend. Der Mann ist ein Opfer, kein Täter. Denn die wahren Täter sind die Vermittler: Schleuser und Chefs dubioser Firmen, die am Lohndumping verdienen. Ob jemand dabei vor die Hunde geht, ist ihnen egal. «Sorry, Chef, sorry!» fleht der Ertappte. Doch Kon­trolleur Stefan Hirt ist weder Chef, noch hat er eine Wahl. Er muss den Mann anzeigen, die Polizei führt ihn ab. Die wirklichen Täter werden nicht in Handschellen gelegt. Sie erscheinen auch nicht im Film. «Die bekommen nur lächerliche Bussen – und machen gleich weiter», sagt Hirts Kollege im Auto.

«GAR NID GÄBIG»

Autor Grossenbacher zeigt den Sisyphus-Job der Kontrolleure hautnah und mit viel Empathie. So ist sein Film über weite Strecken ein Roadmovie geworden. Nur geht’s nicht durch grandiose US-Landschaften, sondern durch den Kanton Bern. Der kann zwar auch grandios sein: «Schau mal die Berge dort hinten!» sagt Frédy Geiser. Doch dann wartet schon der nächste Einsatzort. Dass es dort Lämpen geben wird, spürt Kon­trolleur Geiser meist schon vorher. «Gar nid gäbig», sagt er dann jeweils im besten Berndeutsch.

Grossenbacher belässt es aber nicht bei der krimihaften Reality-Recherche. Denn bei Schwarzarbeit, die er nicht näher definiert (siehe Box), und Lohndumping spielt eben auch die Politik eine Rolle. Grossauftritt von Corrado Pardini: Wir sehen, wie der SP-Nationalrat und Ex-Unia-Industriechef kompromisslos für den Lohnschutz kämpft. Im Parlament, an Gewerkschaftsversammlungen und sogar als Gegenspieler von Christoph Blocher an der SVP-Tagung im Albisgütli. «Wir haben den besten Lohnschutz in Europa, den dürfen wir nicht preisgeben!» schleudert Pardini in den Saal. Der «Böölimaa» in diesem Spiel ist FDP-Bundesrat Ignazio Cassis. Er stellte bekanntlich das Schweizer Lohnschutzsystem in den Verhandlungen mit der EU in Frage. Und scheiterte damit krachend. Zum Glück, wie Grossenbachers Film eindrücklich zeigt.

Ulrich Grossenbachers Film Schwarzarbeit kommt im April in die Kinos. work wird rechtzeitig berichten.

Was ist eigentlich Schwarz­arbeit?

Zwar gibt es ein Gesetz gegen Schwarzarbeit. Doch nicht einmal dieses definiert Schwarzarbeit ­genau. Gemäss dem Staatssekre­tariat für Wirtschaft (Seco) geht es um «verschiedene Formen der Missachtung arbeitsbezogener Melde- und Bewilligungspflichten». Also wenn j­emand keine Aufenthalts- oder ­Arbeitsbewilligung hat oder wenn ein Arbeitgeber sich um Meldepflichten foutiert und die mit ­einer Beschäftigung verbundenen Sozialbeiträge, Steuern oder Ab­gaben nicht bezahlt. Stets mit Schwarzarbeit verbunden sind Lohndumping und Ausbeutung. Für die Kontrollen sind die Kantone zuständig.

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