Neue Normalität, alte Probleme: Aufruhr in der US-Arbeitswelt
«Wir wollen mehr!»

Nach dem Corona-Lockdown sucht die US-Wirtschaft angestrengt nach Arbeitskräften. Doch sie bietet oft die gleichen miesen Stellen an wie schon vor der Pandemie.

IM STREIK: Immer öfter wehren sich die Lohnabhängigen in den USA mit Arbeitskämpfen oder kündigen. Weil sie von den Löhnen nicht leben können. Etwa im Gastgewerbe, im Detailhandel und im Gesundheitswesen. (Foto: Getty)

Die Arbeitenden in den USA sind unzufrieden. In Scharen laufen sie den Firmen davon. Mehr als vier Millionen kündigten jeden Monat seit dem letzten Sommer. Ende Jahr gab es in den USA mehr als zehn Millionen offene Stellen.

Die US-Medien sind nun voll von Stories über gut ausgebildete Frauen und Männer, die ihre sichere, aber langweilige Anstellung aufgegeben haben. Und Life-Coach oder Surflehrerin geworden sind. Schön für sie. Aber das ist nicht die typische Pandemiegeschichte. Denn die meisten Kündigungen gab es nicht bei den Gutverdienenden mit Homeoffice. Sondern im prekären Niedriglohnbereich. Bei den Menschen, die während der Pandemie für wenig Geld vor Ort arbeiten und sich dem Virus aussetzen mussten.

Im Dezember 2021 kündigten im Gastgewerbe 6,1 Prozent der gesamten Belegschaft. Im Detailhandel waren es 4,9 Prozent. Im Gesundheitswesen hat seit Beginn der Coronakrise jede fünfte Person den Beruf aufgegeben. Die von der Covidkrise besonders stark betroffenen Pflegeheime allein verloren 425 000 Mitarbeitende. Traumkarrieren haben die wenigsten dieser Aussteigerinnen und Aussteiger im Blick. Wohl aber suchen sie, oft vergeblich, existenzssichernde Löhne und anständige Arbeitsbedingungen.

Die Gewerkschaften sind so beliebt wie lange nicht mehr.

HARTE ARBEIT UND SCHULDEN

Die Afroamerikanerin Elizabeth Course ist Zimmerfrau und arbeitet im La-Quinta-Hotel in Hinesville, im US-Südstaat Georgia. Sie fordert: «Wenn ich schon mein Leben riskieren soll, gebt mir wenigstens mehr Geld!» Und sie sagt in einem Onlinevideo der US-Tageszeitung «Washington Post»: «Ich verdiene weniger als 10 Dollar die Stunde. Damit kann ich meine Familie nicht durchbringen.» Ihre Kollegin Etta Henry denkt fast wehmütig an den Beginn der Pandemie zurück. Als das Hotel geschlossen war, habe sie zum ersten Mal eine längere Arbeitspause machen können. Und weil die Regierung Biden die Arbeitslosengelder für kurze Zeit mit einer Covid-Zulage von 300 Dollar pro Woche aufstockte, konnte sie auch zum ersten Mal ihre Rechnungen prompt bezahlen. Damit sei es vorbei, sagt Etta. Für sie heisst die vielbeschworene Rückkehr zur Normalität: «Jetzt muss ich trotz harter Arbeit wieder Schulden machen.»

KEIN SICHERER JOB

Die US-Unternehmen versuchen, den gegenwärtigen Arbeitskräftemangel mit minimalen Lohnzugeständnissen und ein paar Bonus-Zückerchen zu überbrücken, ohne wirkliche Zugeständnisse zu machen. Der US-Wirtschaftsjournalist Noam Scheiber schreibt in der «New York Times»: «Die Unternehmer denken, es ergebe ökonomisch mehr Sinn, die aktuellen Engpässe auszusitzen als ihr Geschäftsmodell grundsätzlich zu ändern.»

Ein wichtiger Eckpfeiler der Profitmaximierung ist heute die Arbeit auf Abruf, der Just-in-time-Job. Die Unternehmen können mit dieser einseitig «flexiblen» Teilzeitanstellung Zusatzleistungen wie bezahlte Freitage, Pensionsgelder und die in den USA bei Vollzeitstellen üblichen Krankenkassenbeiträge der Arbeitgeber einsparen. Und so müssen die Chefs die Belegschaft nur dann beschäftigen und bezahlen, wenn sie sie unbedingt brauchen.

So kommt es, dass Millionen von US-Amerikanerinnen und -Amerikanern auch heute noch, bei akutem Arbeitskräftemangel, nicht genug Arbeit finden. Brenda Garcia zum Beispiel, die in Queens, New York, in einer Filiale der Schnellimbisskette Chipotle arbeitet, kämpft seit Monaten um mehr Arbeitsstunden. Kürzlich konnte sie bloss eine einzige Schicht pro Woche übernehmen. «Das ist nicht genug», sagte sie im Gespräch mit Journalist Noam Scheiber. «Sie geben mir keinen sicheren Job.» So wie ihr geht es rund einem Viertel aller Lohnabhängigen im Gastgewerbe und im Detailhandel. Sie alle möchten regelmässiger und mehr Stunden arbeiten, als ihnen angeboten werden.

In Denver, im US-Bundestaat Colorado, haben gewerkschaftlich organisierte Mitarbeitende der Lebensmittelkette King Soopers im Januar erfolgreich gestreikt. Ihnen ging es nicht nur um höhere Löhne, sondern auch um mehr gesicherte Vollzeitstellen. Das ist ein Lichtblick. Ebenso wie die aktuellen Arbeitskämpfe bei bekannten Betrieben wie Amazon, Starbucks oder beim Outdoor-Ausrüstungskonzern REI. Nicht zuletzt dank solchen Arbeitskämpfen sind die Gewerkschaften in den USA so beliebt wie schon lange nicht mehr.

Doch nur noch zehn Prozent aller Arbeitenden sind heute in den USA organisiert. Zwar gehört seit Jahrzehnten rund ein Drittel der Belegschaft im öffentlichen Bereich einer Gewerkschaft an. Doch in der Privatwirtschaft sind es nur noch sechs Prozent. Die US-Gewerkschaften sind kleiner denn je. Ob sich das unter der der neuen gewerkschaftsfreundlichen Regierung ändern wird?

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